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Altchristliche Literatur und kritische Historie bei Franz Overbeck

Vier Studien

by Johann-Christoph Emmelius (Author)
©2016 Monographs 435 Pages

Summary

Der Autor geht in vier Studien der wissenschaftlichen Arbeit des Kirchenhistorikers Franz Overbeck nach. Unter Verwendung unveröffentlichter Vorlesungen rekonstruiert er Overbecks Arbeit am Konzept einer altchristlichen Literaturgeschichte sowie an der Entstehungsgeschichte des neutestamentlichen Kanons. Er zeichnet zudem Reflexionen Overbecks auf wissenschaftliche Kirchenhistorie nach und beschreibt die Verwendung des Begriffs «profane Kirchengeschichte». Er zeigt, wie – im Kontrast zum Öffentlichkeitsanspruch des Aufklärers Kant – Overbecks Öffentlichkeitsscheu als kritischer Historiker des Christentums wächst.

Table Of Contents

  • Cover
  • Titel
  • Copyright
  • Autorenangaben
  • Über das Buch
  • Zitierfähigkeit des eBooks
  • Inhaltsverzeichnis
  • Vorwort
  • Studie 1 - Beobachtungen zu Overbecks Gebrauch des Begriffs „profane Kirchengeschichte“ und verwandter Begriffe
  • 1 Belege für das Vorkommen der Begriffe
  • 2 Zum späten Vorkommen des Begriffs „profane Kirchengeschichte“ in Texten Overbecks
  • 3 Der Begriff „profane Kirchengeschichte“ als Bezeichnung eines aufgegebenen Lebensplans
  • 4 Overbecks Bemühen um einen Erben und Nachfolger
  • 5 Overbecks Reflexionen auf seine eigenen Vorarbeiten für eine „profane Kirchengeschichte“
  • 6 Fehlende Angaben Overbecks zur literarischen Gestalt einer „profanen Kirchengeschichte“
  • 7 Merkmale profaner Behandlung der Kirchengeschichte
  • Studie 2 - Die Grundlinien von Overbecks Entwurf der Kanonsgeschichte des Neuen Testaments
  • 0 Einleitung
  • 0.1 Quellen der Rekonstruktion von Overbecks Entwurf einer neutestamentlichen Kanonsgeschichte
  • 0.2 Aufgabe der vorliegenden Untersuchung
  • Exkurs 1: Kanonsgeschichtlich relevante Bemerkungen in von Overbeck selbst veröffentlichten Texten
  • 1 Die Voraussetzungen der kanonsgeschichtlichen Arbeit Overbecks
  • 1.1 Die historisch-kritische Methode und der Anschluss an die epochalen Arbeiten J. S. Semlers
  • 1.2 Die Unterscheidung verschiedener Perioden der Kanonsgeschichte
  • 1.3 Die Beschaffenheit der Tradition zur Geschichte des Kanons
  • 1.4 Zur Auseinandersetzung mit Fr. P. Bestebreurtje
  • 2 Die Vorgeschichte: Die Periode vor der Entstehung eines neutestamentlichen Kanons
  • 2.1 Das Alte Testament als Urkanon der christlichen Kirche
  • 2.2 Strukturelle Barrieren für die Entstehung eines neutestamentlichen Kanons
  • 3 Die erste Phase: Ansätze zur Entstehung eines neutestamentlichen Kanons bis zur Mitte des 2. Jahrhunderts
  • 3.1 Die ursprüngliche Autorität der Worte des Herrn
  • 3.2 Ansätze zur Bildung eines Evangelienkanons
  • 3.3 Zum kirchlichen Gebrauch von Apostelschriften bis zur Mitte des 2. Jahrhunderts
  • 4 Nachtrag zur ersten Phase: Der Gebrauch der neutestamentlichen Schriften bei den Gnostikern der ersten Hälfte des 2. Jahrhunderts und bei Markion
  • 4.1 Allgemeine Kennzeichnung der frühen Gnostiker, Markions und des jeweiligen Schriftgebrauchs
  • 4.2 Zum Einfluss der Gnosis und Markions auf die Entwicklung des kirchlichen Kanons
  • 5 Die zweite Phase: Die Ausbildung der Form des Neuen Testaments in der Zeit von etwa 150 bis etwa 200 n. Chr.
  • 5.1 Zur Überlieferung
  • 5.1.1 Allgemeine Beobachtungen
  • 5.1.2 Das Muratorische Fragment
  • 5.2 Die Entstehung der Form des Neuen Testaments
  • 5.2.1 Die Form des Neuen Testaments
  • 5.2.2 Zur Aufnahme eines Apostelteils in den Kanon
  • 5.2.3 Zur Exklusivität des Kanons
  • 5.2.4 Nachwirkungen der vorkanonischen Zeit
  • 5.3 Die inhaltliche Zusammensetzung des Neuen Testaments um 200 n. Chr.
  • 5.3.1 Der Evangelienteil des Kanons
  • 5.3.2 Der Apostelteil des Kanons
  • 5.3.3 Das Resultat der Entwicklung bis 200 n. Chr.
  • Exkurs 2: Overbecks späte Aufzeichnungen zur Kanonisierung des Johannesevangeliums
  • 6 Nachtrag zur zweiten Phase: Die Aufnahme der AG in den Kanon
  • 6.1 Kurze Erklärung der Apostelgeschichte (1870)
  • 6.2 Ueber das Verhältniss Justins des Märtyrers zur Apostelgeschichte. (1872)
  • 6.3 Vorlesung A 82
  • 6.4 Ueber die Auffassung des Streits des Paulus mit Petrus in Antiochien (Gal. 2,11ff.) bei den Kirchenvätern. (1877)
  • 6.5 Die Vorlesung A 83 (1889)
  • 6.6 Die beiden Vorlesungen A 85 (WS 1893/94) und A 87 (WS 1895/96)
  • 7 Die dritte Phase: Die unterschiedlichen Wege zum Abschluss der Kanonsentwicklung im Orient und im Okzident in der Zeit nach 200 n. Chr.
  • 7.1 Zur Differenzierung zwischen Orient und Okzident
  • 7.2 Zur Entwicklung im Orient
  • 7.2.1 Origenes
  • 7.2.2 Die Erschütterung des Ansehens der Johannesapokalypse
  • 7.2.3 Eusebius von Caesarea
  • 7.2.4 Überblick über die Entwicklung nach Eusebius
  • 7.3 Zur Entwicklung im Okzident
  • 7.3.1 Die Entwicklung vom Beginn des 3. bis zur Mitte des 4. Jahrhunderts
  • 7.3.2 Ausblick auf den Abschluss der Kanonsentwicklung im Okzident
  • 8 Schlussbemerkung
  • Exkurs 3: Overbecks Gebrauch von Metaphern des Todes und von sinnverwandten Metaphern bei seiner Interpretation der literarhistorischen Wirkung des neutestamentlichen Kanons
  • 1 Die Wirkung des neutestamentlichen Kanons auf die in den Kanon aufgenommenen Schriften
  • 2 Die Wirkung des Kanons auf die nicht in den Kanon aufgenommenen Schriften der Urliteratur
  • 3 Die Wirkung des Kanons auf die weitere Produktion von Schriften in den Formen der Urliteratur
  • 9 Hinweise zu Overbecks eigener Positionierung innerhalb der kanonsgeschichtlichen Literatur
  • 9.1 Semler und Credner
  • 9.2 Die Kanonsgeschichte innerhalb des Organismus der Einleitung ins Neue Testament
  • 9.3 Zum wissenschaftlichen Standpunkt der Kanonsgeschichte
  • 9.4 Die herausgehobene Verwendung der Einleitungswerke Holtzmanns und Jülichers
  • 9.5 Einzelne Bezugnahmen Overbecks auf kanonsgeschichtliche Literatur
  • 9.6 Einzelne Bezugnahmen auf Arbeiten Harnacks
  • Studie 3 - Overbecks Arbeit an einer altchristlichen Literaturgeschichte
  • 0 Einleitung
  • 1 Overbecks Abhandlung ApL (1882)
  • 1.1 Altchristliche Literaturgeschichte als Formengeschichte
  • 1.2 Christliche Urliteratur und patristische Literatur
  • 1.2.1 Christliche Urliteratur
  • 1.2.2 Patristische Literatur
  • 1.2.3 Zur Bedeutung des Kanons in der altchristlichen Literaturgeschichte
  • 1.3 Anmerkungen zur Interpretation von Overbecks Abhandlung
  • 1.3.1 Formen als Gattungen
  • 1.3.2 Uneigentliche und eigentliche Literatur
  • 1.3.3 Overbecks Sicht auf das Werk des Clemens Alexandrinus
  • 1.3.4 Weitere offene Fragen
  • 2 Materialien und Stichworte zur Rezeption von Overbecks Abhandlung ApL
  • 3 Zur Vorgeschichte der Abhandlung ApL (I): Overbecks Vorlesung „Geschichte der Literatur der alten Kirche (Patristik) bis Eusebius von Caesarea.“ (A 103)
  • 3.1 Das Konzept einer altchristlichen Literaturgeschichte
  • 3.2 Zur Unterscheidung von christlicher Urliteratur und patristischer Literatur
  • 3.2.1 Ausführungen, denen das Schema von ApL noch fremd ist
  • 3.2.2 Ausführungen, die dem Schema von ApL in der Sache, aber nicht im Blick auf die zeitliche Einordnung nahe kommen
  • 3.2.3 Ausführungen, die dem Schema von ApL in der Sache und hinsichtlich der zeitlichen Einordnung nahe kommen
  • 4 Zur Vorgeschichte der Abhandlung ApL (II): Overbecks Vorlesung „Geschichte der Litteratur der alten Kirche bis Eusebius von Caesarea.“ (A 104)
  • 4.1 Ausführungen, denen die Unterscheidung von christlicher Urliteratur und patristischer Literatur noch fremd ist
  • 4.2 Zur Frage nach den Formen
  • 4.3 Eine Vor-Form der Unterscheidung von christlicher Urliteratur und patristischer Literatur
  • 4.3.1 Wichtigkeit der Erörterung von Vorfragen
  • 4.3.2 Reflexion auf die altchristliche Literatur mit Einschluss der neutestamentlichen Schriften und des Hauptwerks des Clemens
  • 4.3.3 Zur Erhaltung der ältesten christlichen Literatur
  • 4.3.4 Allgemeine Charakteristik der ältesten christlichen Literatur
  • 5 Zur Weiterarbeit nach dem Erscheinen der Abhandlung ApL: Aufnahme und Ergänzung der Kernthesen in der Vorlesung „Geschichte der Litteratur der alten Kirche Patristik.“ (A 105)
  • 5.1 Plan und Gliederung der Vorlesung
  • 5.2 Christliche Urliteratur
  • 5.2.1 Schwierigkeit der Darstellung der Urliteratur
  • 5.2.2 Literarischer Charakter der Urliteratur
  • 5.2.3 Der neutestamentliche Kanon und das Ende der christlichen Urliteratur
  • 5.3 Literatur an der Grenze zwischen christlicher Urliteratur und Weltliteratur in der Kirche
  • 5.3.1 Urliteratur im Übergang zur Weltliteratur in der Kirche
  • 5.3.2 Die gnostische Literatur des 2. Jahrhunderts
  • 5.4 Die Entstehung einer Weltliteratur in der Kirche und die Ketzerbestreitung des Irenäus
  • 5.5 Auseinandersetzung mit Harnack und Krüger
  • Studie 4 - Wissenschaft und Öffentlichkeit: Die Unterscheidung „exoterisch/esoterisch“ bei Overbeck im Vergleich zu der Unterscheidung „privat/öffentlich“ bei Kant
  • 1 Fragestellungen der Untersuchung
  • 2 Begriffe und Definitionen in Kants „Was ist Aufklärung?“ und in ChT1 sowie Hinweise auf entsprechende zeitgenössische Denkfiguren
  • 2.1 Kant
  • 2.2 Hinweis auf einige der Unterscheidung Kants entsprechende Denkfiguren
  • 2.3 Overbeck
  • 2.4 Hinweis auf einige der Unterscheidung Overbecks widersprechende und entsprechende Denkfiguren
  • 3 Das mit der Unterscheidung von öffentlichem und privatem Vernunftgebrauch verbundene Argumentationsinteresse Kants in „Was ist Aufklärung?“ (1784)
  • 4 Ausblick auf die weitere Entwicklung der Argumentation Kants
  • 4.1 Kants Argumentation in den Vorreden zu „Die Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft“ (1793)
  • 4.2 Die Kabinettsordre Friedrich Wilhelms II. an Kant und Kants Antwort darauf (1794)
  • 4.3 Hinweis auf Kants Schrift „Der Streit der Fakultäten“ (1798)
  • 5 Das mit der Unterscheidung eines exoterischen und esoterischen Standpunkts verbundene Argumentationsinteresse Overbecks in ChT1 (1873)
  • 5.1 Overbecks Herausforderung durch Lagardes Schrift „Ueber das Verhältnis des deutschen Staates zu Theologie, Kirche und Religion“ (1873)
  • 5.2 Overbecks Wissenschaftsverständnis
  • 5.3 Overbecks Einspruch gegen die Popularisierung der Wissenschaft
  • 5.4 Overbecks Interesse an der Erhaltung der theologischen Fakultäten einschließlich ihrer Ausbildungsaufgabe
  • 5.5 Fazit
  • 6 Overbecks Selbstdeutung in seinen nachgelassenen Reflexionen aus der Zeit des Ruhestands (seit 1897)
  • 6.1 Overbecks Übertragung der Unterscheidung exoterisch/esoterisch auf seine Tätigkeit als Theologieprofessor
  • 6.2 Offene Rede und Verschweigen nach Overbecks Deutung seiner Lehrtätigkeit
  • 6.3 Overbecks Selbstdeutung im Vergleich zu Kant
  • 7 Overbecks Argumentation in ChT2 (1903)
  • 7.1 Übereinstimmungen mit den von Overbeck nachgelassenen Selbstreflexionen
  • 7.2 Neue Akzente gegenüber den von Overbeck nachgelassenen Selbstreflexionen
  • 7.2.1 Stichwort: Monolog
  • 7.2.2 Stichwort: Overbeck als theologischer Lehrer
  • 7.2.3 Stichwort: Schriftstellerische Publikation
  • Anhang
  • Zum Literaturnachweis und zur Zitierung von Nachlass-Texten Overbecks
  • 1. Zum Literaturnachweis
  • 2. Zur Zitierung von Texten aus Overbecks Nachlass
  • Verzeichnis der Abkürzungen und Zeichen
  • Literaturverzeichnis
  • Werke Overbecks
  • 1. Von Overbeck selbst publizierte Schriften
  • 2. Publikationen aus dem Nachlass Overbecks und Briefpublikationen
  • 3. Das Editionsprojekt „Franz Overbeck Werke und Nachlaß“. Stuttgart/Weimar 1994–2010 (OWN)
  • 4. Texte aus dem der Öffentlichen Bibliothek der Universität Basel gehörenden Nachlass Overbecks
  • Altchristliche Literatur
  • Sonstige Literatur

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Vorwort

Im Zusammenhang meiner Vorarbeiten für den Band 9 des Editionsprojekts „Franz Overbeck Werke und Nachlaß“ hatte ich die Aufgabe, sämtliche in Overbecks Nachlass erhaltene Vorlesungsmanuskripte zu lesen und auf eine mögliche Aufnahme in den Band 9 hin zu prüfen. Dabei zeigte sich nicht nur, dass die Ausarbeitung seiner Vorlesungen einen großen Teil der Arbeitszeit und Arbeitskraft Overbecks belegt hat, sondern auch, dass die Vorlesungen die kirchenhistorischen Detailstudien Overbecks und die Notate seiner enzyklopädischen Zettelkästen in charakteristischer Weise ergänzen. Im Unterschied zu den Notaten, die einzelnen Stichworten und Unterstichworten zugeordnet sind, bieten die Vorlesungen jeweils einen über mehrere hundert Seiten fortlaufenden, kontinuierlichen Text; im Unterschied zu den jeweils thematisch sehr spezifisch ausgerichteten und eng begrenzten Abhandlungen entfalten die Vorlesungen Overbecks Sicht auf weitgefasste Gegenstandsbereiche wie z. B. auf die Geschichte der Alten Kirche oder die Geschichte der Entstehung des neutestamentlichen Kanons.

Der Band 9 von „Franz Overbeck Werke und Nachlaß“ bot nur die Möglichkeit, ausgewählte Texte aus den der Geschichte der Alten Kirche gewidmeten Vorlesungen zu publizieren. Gleichzeitig entstand aber der Plan, darüber hinaus auch die Vorlesungen über neutestamentliche Kanonsgeschichte und über altchristliche Literaturgeschichte wenigstens ihrem Inhalt nach bekannt zu machen. Die Studien 2 und 3 des hier vorgelegten Bandes verwirklichen diesen Plan jeweils auf ihre Weise. Studie 2 zeichnet Overbecks Sicht der Entstehung des neutestamentlichen Kanons in ihren Grundzügen nach. Studie 3 widmet sich zunächst einigen bisher wenig beachteten Merkmalen von Overbecks berühmter Abhandlung „Ueber die Anfänge der patristischen Literatur“ von 1882 sowie ihrer Wirkungsgeschichte; sie arbeitet sodann auf der Grundlage der literarhistorischen Vorlesungen einmal die allmähliche Entstehung von Overbecks literarhistorischem Konzept, sodann seine Weiterarbeit daran nach 1882 heraus.

Durch das Editionsprojekt „Franz Overbeck Werke und Nachlaß“ sind auch die Studien 1 und 4 des vorliegenden Bandes angestoßen worden. ← 13 | 14 → Dieses Projekt, das in den Jahren 1994–2010 in insgesamt 11 Bänden realisiert wurde, regt schon durch die bloße Menge der bequem zugänglich gemachten Texte, durch ihre hohe editorische Qualität und durch die Vielfalt der berücksichtigten Textformen – Abhandlungen, Rezensionen, Notate im Lexikonstil, autobiographische Reflexionen, Briefe, Vorlesungsmanuskripte – dazu an, Overbeck noch einmal neu zu lesen. Die Studien 1 und 4 sind aus solcher ‚relectura’ hervorgegangen. Sie konzentrieren sich dabei auf zwei eng begrenzte Fragestellungen. Studie 1 prüft, in welchem Sinn Overbeck selbst von einem ‚Projekt profaner Kirchengeschichte’ gesprochen hat und ob es zutrifft, dass er während seines Gelehrtenlebens auf ein solches Werk hinarbeitete. Studie 4 setzt bei der bisweilen angenommenen Nähe eines Reformvorschlags Overbecks zu Kants Aufklärungsaufsatz an und geht der Frage nach, ob bzw. inwieweit Overbeck für seine wissenschaftliche Arbeit einen Öffentlichkeitsanspruch erhoben hat.

Bei der Erarbeitung der vier Studien und bei der Fertigstellung der vorliegenden Publikation habe ich vielfältig Hilfe erfahren.

Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Handschriftenabteilung der Öffentlichen Bibliothek der Universität Basel haben mir die Einsichtnahme in die originalen Overbeck-Manuskripte in der freundlichsten Weise ermöglicht. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Niedersächsischen Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen haben mich bei der Beschaffung der Literatur des 19. Jahrhunderts beraten und unterstützt. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Verlags Peter Lang, allen voran der Leitende Lektor, Herr Dr. Hermann Ühlein, haben mich in allen Fragen der Herstellung eines abgabefertigen Manuskripts und in allen Publikationsformalitäten entgegenkommend und sachkundig beraten. Meine Frau Friederike Emmelius hat nicht nur mit mir die Korrekturen gelesen, sondern sie hat durch ihr jahrelanges geduldiges Verständnis die Erarbeitung der Studien mit ermöglicht.

Allen, die mich mit Rat und Tat unterstützt haben, danke ich hiermit herzlich.

Mein besonderer Dank gilt einmal der Leitung der Abteilung Handschriften und Alte Drucke der Universität Basel für die Druckgenehmigung von vier Seiten aus Overbecks Vorlesungsmanuskripten. Mein Dank gilt sodann Frau Antonia Pellegrino und dem Herausgeberkollegium der Zeitschrift „Humanitas“ für die Erlaubnis, den ursprünglich in dieser ← 14 | 15 → Zeitschrift erschienenen Aufsatz „Osservazioni sull’uso overbeckiano del concetto di ‚storia profana della Chiesa’“ in überarbeiteter Form erneut zu veröffentlichen.

Uetze, im Dezember 2015

Johann-Christoph Emmelius

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Studie 1
Beobachtungen zu Overbecks Gebrauch des Begriffs „profane Kirchengeschichte“ und verwandter Begriffe
1

Das Stichwort „profane Kirchengeschichte“ kann bei der Leserin und dem Leser die Erwartung wecken, die vorliegende Studie werde Overbecks Geschichtskonzeption, also sein Verständnis von Geschichte und Kirchengeschichte, die Grundsätze seiner kirchenhistorischen Arbeit und deren wichtigste Resultate, in einem allgemeinen Überblick darstellen. Diese Erwartung wird die Studie jedoch nicht erfüllen.2 Ihre Zielsetzung ist spezieller: Es geht um Overbecks Verwendung speziell des Begriffs „profane Kirchengeschichte“ und verwandter Begriffe. Dabei wird Overbecks Verständnis von historischer Forschung und ihrer Implikationen am Rande auch zum Thema. Im Mittelpunkt aber steht die folgende Frage: Trifft die mehrfach vertretene These zu, dass Overbeck auf das Ziel, eine „profane Kirchengeschichte“ zu schreiben, hingearbeitet hat, – auf ein Ziel, das zu erreichen ihm letztlich nicht gelungen ist?3 ← 17 | 18 →

1 Belege für das Vorkommen der Begriffe

Die Begriffe „profane Kirchengeschichte“, „profane Behandlung der Kirchengeschichte“ und ähnliche Begriffe verwendet Overbeck in einem engeren und einem weiteren Sinn. Im engeren Sinn bezeichnet „profane Kirchengeschichte“ ein zur Veröffentlichung bestimmtes kirchenhistorisches Werk, ein Buchprojekt. Im weiteren Sinn geht es um eine bestimmte Betrachtungsweise und eine entsprechende historische Bearbeitung der Kirchengeschichte – unabhängig davon, ob ein Einzelproblem oder die gesamte Kirchengeschichte im Blick steht, ob an ein zur Veröffentlichung bestimmtes Buch gedacht ist oder ein nur der eigenen Vergewisserung dienendes kritisches Notat niedergeschrieben wird.

Der Begriff „profane Kirchengeschichte“ im engeren Sinne begegnet in folgenden Texten:

(1)in dem Notat „Zu meinen Aufzeichnungen über meine Basler Professur“, von Overbeck auf den 31. August 1901 datiert (OWN, Bd. 7/1, 243f);

(2) in dem Briefwechsel zwischen C.A. Bernoulli und Overbeck von März/April 1902 (OWN, Bd. 7/1, 321f; 325f; 330; 333–338; 338f); ← 18 | 19 →

(3) in Overbecks Tagebucheintrag vom 11. April 1902 (OWN, Bd. 7/1, 102);

(4) in ChT2, erschienen 1903, und zwar in der Einleitung (OWN, Bd. 1, 259–263)4 und im dritten Teil des Nachworts (OWN, Bd. 1, 310f).

Alle genannten Belege stammen aus der letzten Lebensphase Overbecks, aus der Zeit seines 1897 begonnenen Ruhestands.

Der Begriff „profane Behandlung der Kirchengeschichte“ und eng verwandte Formulierungen, die Overbeck in dem genannten weiteren Sinne gebraucht, finden sich an mehreren Stellen seines „Kirchenlexicons“5. Nach den von Overbeck eingetragenen Datierungen, nach Rückschlüssen aus vorangehenden Notaten zu dem gleichen Stichwort oder aus erwähnter Literatur und nach der von der Herausgeberin von Reibnitz vorgenommenen zeitlichen Einordnung gehören auch diese Belege sämtlich der Zeit von Overbecks Ruhestand an. Sie sind zu ergänzen durch einige weitere ← 19 | 20 → der gleichen Zeit zuzuweisende Notate, die durch Overbecks Verweise unmittelbar oder mittelbar mit den genannten Aufzeichnungen verbunden sind und in denen Overbeck Formulierungen gebraucht, die an den Begriff der „profanen Behandlung der Kirchengeschichte“ anklingen.6

Solange nicht früher zu datierende Aufzeichnungen aus Overbecks Nachlass ein anderes Urteil erzwingen7, erlauben die verzeichneten Belege ein erstes Fazit: Die Begriffe „Profane Kirchengeschichte“, „profane Behandlung der Kirchengeschichte“ und verwandte Begriffe tauchen in Overbecks Wortschatz erst in der Zeit des Ruhestands auf. Erst spät also verwendet Overbeck diese Begriffe, um seine eigene Arbeit, seinen eigenen Zugang zur Kirchengeschichte und überhaupt die für angemessen gehaltene Behandlungsweise dieses historischen Feldes zu kennzeichnen.

Die folgenden Erörterungen konzentrieren sich zunächst (in den Abschnitten 2–6) auf Overbecks Verwendung des Begriffs „profane Kirchengeschichte“ im engeren Sinne; erst danach und mehr anhangsweise (in Abschnitt 7) wird der Blick ausgeweitet auf die Art der Behandlung der Kirchengeschichte, die Overbeck mit dem Adjektiv ‚profan’ signalisiert.

2 Zum späten Vorkommen des Begriffs „profane Kirchengeschichte“ in Texten Overbecks

2.1 In der Einleitung zu ChT2 beschreibt Overbeck sein Verhältnis zu seinem Lehrer F. C. Baur. Im Rückblick auf die Zeit, in der er zunächst als Privatdozent in Jena wirkte, dann von Jena nach Basel übersiedelte, unterscheidet Overbeck zwischen dem, was ihm an Baurs Arbeit fremd blieb, dem, was er für korrektur- und ergänzungsbedürftig hielt, und dem, was ← 20 | 21 → er von Baur übernehmen konnte. Am Ende konstatiert Overbeck, er habe an Baur für seinen Gelehrtenberuf ein Ideal gefunden und er habe sich vorgenommen, Baur mit dessen Beistand „auf dem Gesammtgebiet der Geschichte der christlichen Kirche nachzuthun, was er mir auf dem des Urchristenthums vorgethan“8. Differenzierend fügt Overbeck hinzu: „Nicht deutlicher natürlich als man sich etwas der Art so früh vorzunehmen pflegt, wenn man kein Genie ist, aber immerhin noch bestimmt genug, um davon erfüllt zu sein. Ich wusste freilich damals noch nicht, dass ich nach einer Arbeit mich streckte, die ich später profane Kirchengeschichte nannte.“9

Dem letzten Satz zufolge hat Overbeck den Namen „profane Kirchengeschichte“ erst „später“, also nicht schon in seiner Jenaer Privatdozentenzeit, als er sich entschloss, in Baurs Spuren weiter zu gehen, in Gebrauch genommen. Nimmt man den unmittelbaren Kontext des Satzes hinzu, dann ist es wahrscheinlich, dass Overbeck außerdem ausdrücken will, auch die so bezeichnete Arbeit selbst, also das Projekt einer profanen Kirchengeschichte, sei ihm erst später deutlich bewusst geworden.

Overbeck bestimmt nicht genauer, was „später“ besagt. Im Folgenden wird daher zunächst auf einige Texte hingewiesen, die weder den Begriff noch das durch ihn bezeichnete Projekt schon zu kennen scheinen.

2.2 Am 7. Juni 1896 richtet Overbeck sein Gesuch um Entlassung aus seinem akademischen Lehramt an den Präsidenten der Curatel der Universität Basel.10 Overbeck bittet darin um die vollständige Entlassung aus seinem Lehramt. Er verweist auf seine erschütterte Gesundheit und auf die Arbeitslast, die mit seinen Vorlesungen auch dann unweigerlich verbunden wäre, wenn seine Lehrverpflichtung lediglich ermäßigt würde. Overbeck spricht in diesem Zusammenhang den Wunsch aus, „was mir noch von Arbeitskraft bleibt, der Abschliessung schon längst nothgedrungener Weise zurückgestellter Arbeiten ausschliesslich zu widmen“11. Auch eine bloß eingeschränkte Lehrtätigkeit würde sich „der Ausführung aller andersartigen, von mir zur Zeit für fruchtbarer gehaltenen Pläne in einer Weise in den Weg stellen, die ich ← 21 | 22 → überwinden zu können nicht mehr hoffe“12. Overbeck führt nicht näher aus, welche Pläne er verfolgt; es ist jedoch eindeutig, dass er an wissenschaftliche Publikationen und deren Vorbereitung denkt. Das Fehlen des Begriffs „profane Kirchengeschichte“ überrascht nicht: Selbst wenn der Begriff Overbeck zu dieser Zeit schon geläufig gewesen wäre, wäre seine Verwendung in einem offiziellen Ruhestandsgesuch nicht unbedingt zu erwarten. Bemerkenswert ist jedoch, dass Overbeck im Plural von bisher zurückgestellten Arbeiten und zur Zeit für fruchtbarer als die Lehrtätigkeit gehaltenen Plänen spricht. Von der einen Arbeit, dem einen großen Projekt deutet Overbeck nichts an.

Auch in einem Brief an seinen Freund Rohde vom 8. November 1896 fehlt jeder Hinweis auf ein solches Projekt. Über seine Pläne für die Zeit des Ruhestands spricht Overbeck im Übrigen noch zurückhaltender als gegenüber dem Präsidenten der Curatel. Overbeck berichtet von seinem positiv beschiedenen Entlassungsgesuch und merkt an: „Was ich mit meiner Ungebundenheit noch anfangen kann weiss ich selbst natürlich nicht, nur dass für mein Alter ‚im Schooss der Götter’ nicht mehr allzuviel zu liegen pflegt.“13

2.3 Am 27./29. März 1897 notiert Overbeck ein Arbeitsprogramm. Es steht unter dem Titel: „Arbeit für die mir mit dem Abschied Frühjahr 1897 gewährte Musse und Freiheit.“14 Overbeck notiert zehn, z.T. mehrschichtige Vorhaben. Dabei lassen sich vier thematische Felder unterscheiden:

(1) Fachwissenschaftliche Arbeiten zum Neuen Testament, zur Alten und Mittelalterlichen Kirchengeschichte (Punkte 1, 2, 6, 7, 8, 10);

(2) kritische Auseinandersetzung mit bestimmten zeitgenössischen Richtungen „der neuesten Litteraturproduction der historischen Theologie“15 (Punkte 4, 5);

(3) Beschäftigung mit der eigenen Biographie, insbesondere mit seinem Amt als Theologieprofessor, und mit seinen Freunden Treitschke, Nietzsche und Rohde (Punkt 3); ← 22 | 23 →

(4) Arbeit an der „Veraltung der confessionellen Gegensätze“16 des Katholizismus und Protestantismus in der Gegenwart (Punkt 9).

In einer an die Liste der 10 Punkte angefügten Reflexion bringt Overbeck einerseits zum Ausdruck, dass die aufgeführten Arbeitsvorhaben nur einiges „von dem Mancherlei was mir im Kopfe schwirrt“17, bezeichnen. Overbeck drückt andererseits seine Besorgnis aus, ob er sich angesichts seines Alters und seiner reduzierten Gesundheit nicht zu viel vornehme. Er erwägt, die ihm vorschwebenden fachwissenschaftlichen Abhandlungen fürs erste beiseite zu legen und mit der Formulierung seines Glaubensbekenntnisses zu beginnen – oder aber zwischen diesen Arbeitsschwerpunkten gar nicht strikt zu trennen. Schließlich stellt er fest: „Die Hauptsache ist anzufangen“18, die Zeit werde dann seine Pläne schon klären.

In einem auf den 11. Oktober 1898 datierten Nachtrag gibt Overbeck zu erkennen, dass aus der früheren Besorgnis, ob er seine Pläne würde realisieren können, ein resignativer Rückblick geworden ist. Er verweist auf seine Eusebius-Studien und auf sein Basler Universitätsprogramm von 1898 (BiL), aber er spricht gleichzeitig von dem Gefühl, „dass ich seit Frühjahr 1897 noch gar nichts gesagt und geleistet“, von der „Empfindung der so gut wie unverminderten Last des Unfertigen und Ungesagten und nur Projectirten, mit der ich im Frühjahr 1897 an die Arbeit gegangen war“19.

In keiner dieser Aufzeichnungen, weder in dem Arbeitsplan noch in der angehängten Reflexion noch in dem späteren Nachtrag, verwendet Overbeck den Begriff der „profanen Kirchengeschichte“. Dem entspricht es, dass er nicht ein einziges, sondern mehrere, thematisch teilweise disparate Vorhaben aufführt und diese auch nicht zu einem gemeinsamen Projekt oder unter einer gemeinsamen Perspektive bündelt.

Details

Pages
435
Publication Year
2016
ISBN (PDF)
9783653064766
ISBN (MOBI)
9783653958324
ISBN (ePUB)
9783653958331
ISBN (Hardcover)
9783631667859
DOI
10.3726/978-3-653-06476-6
Language
German
Publication date
2016 (March)
Keywords
Frühes Christentum Neutestamentliche Kanonsgeschichte Christliche Urliteratur Patristische Literatur
Published
Frankfurt am Main, Berlin, Bern, Bruxelles, New York, Oxford, Wien, 2016. 435 S., 4 s/w Abb.

Biographical notes

Johann-Christoph Emmelius (Author)

Johann-Christoph Emmelius studierte Evangelische Theologie sowie Grund- und Hauptschulpädagogik. Nach der Promotion in Theologie arbeitete er im Pfarramt und als Dozent für Religionspädagogik am Religionspädagogischen Institut Loccum und an der Evangelischen Fachhochschule Hannover.

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