America Romana: Neue Perspektiven transarealer Vernetzungen
Summary
Carrefour de mouvements croisés et d’innombrables contacts, l’aéroport Las Américas représente déjà un lieu de connexions transaréales. Cet espace hémisphérique d’interdépendance a fait l’objet d’un cycle de conférences à l’Université de Trèves. Les contributions esquissent de nouveaux contours pour la recherche dans le domaine du concept d’une America Romana transaréale et mettent en relief sa capacité d’établir des contacts et son potentiel d’interconnexions.
Ponto de encontro de movimentos entrecruzados e de contactos inumeráveis, o aeroporto Las Américas representa já um lugar de conexões transareais. Este lugar hemisfèrico de interdependências foi objecto de um ciclo de conferências na Universidade de Tréveris. As respetivas contribuições não só abrem novas perspetivas à investigação, no respeitante ao conceito de uma America Romana transareal, como ainda põem em relevo a sua capacidade de estabelecer contactos e o seu potencial de interconexões.
Encrucijada de movimientos entrecruzados y de innumerables contactos, el aeropuerto Las Américas ya representa un lugar de conexiones transareales. A este hemisférico lugar de entrelazamientos se dedicó un ciclo de conferencias en la Universidad de Tréveris, cuyas contribuciones no sólo abren nuevas perspectivas a la investigación con respecto al concepto de una America Romana transareal sino que también ponen de relieve su capacidad de establecer contactos y su potencial de interconexiones.
Excerpt
Table Of Contents
- Cover
- Titel
- Copyright
- Über das Buch
- Zitierfähigkeit des eBooks
- Inhaltsverzeichnis
- America Romana: Neue Perspektiven transarealer Vernetzungen
- Amerika in Sebastian Münsters Cosmographia (1550 und 1628)
- Amerikanität und Amerikanisierung in der Québecer Gegenwartskultur. Entwicklungen, Paradoxien, literarische und filmische Darstellungsformen
- La circulation de la nouvelle dans les téléjournaux francophones du Québec: un cas particulier du discours rapporté
- Los maestros de idiomas – Plurizentrische Sprachräume als kommunikatives Konstrukt
- Consultas lingüísticas y Recomendaciones idiomáticas – Die Academias de la Lengua Española zwischen nationaler und panhispanischer Sprachpflege
- Intersektionale Perspektiven auf Zeugenschaft und Life Writing: Afrodeszendente Auto/Biographien aus Kuba und Brasilien
- Rück- und Ausblicke auf die Sprachgeschichte Brasiliens
- Performar la(s) H/historia(s). Generationenidentitäten und (Re)Präsentationskritik in Lola Arias’ postdramatischem Theatertext Mi vida después und sein Potential transarealer Serialität
- Übersetzen über den Atlantik. Amerikanische Übersetzerszenen und ihre Transformationen
- Überlegungen zu einer transatlantischen Romanistik – Transatlantische Lektüren
- Bilder der transarchipelischen Welt Neuspaniens. Bildtexte und Textbilder der Erfindung Mexikos zwischen Europa und Asien, der Karibik und Japan
America Romana: Neue Perspektiven transarealer Vernetzungen
Aeropuerto Internacional de las Américas – Knotenpunkt sich kreuzender Bewegungen und unzähliger Kontakte zwischen der sogenannten Alten und Neuen Welt, zwischen den Ländern der westlichen Hemisphäre untereinander – sei es zwischen romano- und anglophonen Nationen oder interromanophon – und zwischen den Regionen eines Landes. Der Flughafen stellt somit per se einen Ort transarealer Vernetzungen dar. Zugleich verdeutlichen sich an diesem jedoch auch die Grenzen seiner Transarealität, da Verbindungen hier strikt vorgegeben und die Bahnen der Bewegungen determiniert sind. Nur bestimmte Orte haben Teil an diesem Verflechtungsraum, andere werden temporär oder sogar gänzlich von diesem ausgeschlossen.
Im Sommersemester 2013 fand an der Universität Trier zum dritten Mal eine Ringvorlesung statt, die sich unter dem allgemeinen Titel „America Romana: Perspektiven der Forschung“ dem Verflechtungsraum der America Romana widmete und (inter-)nationale Fachexperten in den westlichen Teil Deutschlands führte. Das gastgebende, seit dem Frühjahr 2010 bestehende Trierer America Romana Centrum (ARC) nimmt im Rahmen eines transkulturellen Ansatzes in Forschung und Lehre bevorzugt die Gemeinsamkeiten und Wechselbeziehungen zwischen den Sprachen, Literaturen und Kulturen der romanischen – französischen, spanischen, portugiesischen und kreolophonen – Areale der westlichen Hemisphäre in den Blick. Der sprachenübergreifenden Romanistik sollen somit vernetzte Perspektiven der Forschung zur ‚Neuen Welt‘ eröffnet werden.
Die Sprachen, Literaturen und Kulturen der romanischen Länder Amerikas, die das Areal einer America Romana konstituieren, unterscheiden sich selbstredend in vielerlei Hinsicht voneinander. Daneben sind jedoch transamerikanische Gemeinsamkeiten offensichtlich, die das Gebiet zu einer Einheit in der Vielheit werden lassen: So setzt man sich etwa von der englischen Prägung des Nordens des Kontinents ab. Man arbeitet bspw. im gemeinsamen Erinnerungsraum die nicht selten gewalttätige koloniale und postkoloniale Geschichte auf, um so zu einem verständnisvollen Miteinander zwischen den Menschen zu kommen, die auf die indianischen Ureinwohner, auf in der Sklavenzeit unter Zwang nach Amerika verschifften Bewohner Afrikas sowie auf die europäischen Eroberer und Kolonisatoren zurückgehen. So versucht man etwa, seine Stellung zwischen den kulturellen ← 7 | 8 → Konstrukten der europäischen Nationen, deren Sprache man spricht, und den neuen Gegebenheiten Amerikas zu finden, die eine andere Herangehensweise erforderlich machen.
Eine transareale Vernetzung verbindet ohne Zweifel stets die sogenannte Neue mit der Alten Welt: Die Gemeinsamkeit in der Sprache führt dazu, dass Franko-Kanada im französischen Kontext zu verorten ist, Brasilien nur innerhalb der portugiesischen Kulturgeschichte verstanden werden kann und die 19 amerikanischen Länder spanischer Sprache als Teil der interkontinentalen Hispanidad figurieren müssen. Jedoch sollte die Transarealität der Vernetzungen nicht ausschließlich in dieser unidirektionalen Bewegung verharren, sondern ihre jeweilige eigenständige Dynamik und/oder Rückstrahlkraft mit in den Blick nehmen: Québec manifestiert sein Identitätsbewusstsein gegenüber der France Métropolitaine und setzt sich an die Spitze mancher Bewegung, die sich in Europa gegen alte Traditionen kaum durchsetzen kann (z. B. die konsequente Bildung femininer Berufsbezeichnungen); Brasilien beherrscht heute die Film- und Fernsehindustrie so sehr, dass die Rolle Portugals daneben völlig zurücktritt; viele Strömungen der neueren Literaturen betonen ihren ausgewiesen lateinamerikanischen Kosmos und sind zugleich auf die Kraft der Verlagshäuser in Spanien angewiesen, die erst ihre weltweite Verbreitung sichern.
Im Rahmen der Amerika-Studien wird eine transareale Vernetzung aber auch zwischen den verschiedenen Fachwissenschaften deutlicher als in anderen Bereichen der Romanistik: Die von der Tradition gefestigte Abgrenzung zwischen Sprach-, Literatur- und Kulturwissenschaft ist hier schon deswegen durchlässiger, da Literatur etwa an Orten manifest wird, in denen sie in Europa kaum vorkommt, da neue Trägerschichten der Literatur auftauchen, da sprachliche Schichten neu erschlossen werden und barrios bajos, favelas, bidonvilles ungewohnte Bedingungen für innovative sprachliche, literarische und kulturelle Schöpfungen bieten.
Schließlich bedingt das Leben in einer globalisierten Welt eine neue räumliche und gesellschaftliche Beweglichkeit der Akteure: Nicht mehr nur die Einwanderung von Europa nach Amerika steht dabei im Vordergrund, sondern auch die Auswanderung von einer Region Amerikas in die andere oder (manchmal sogar zurück) nach Europa. Dadurch ergeben sich verschiedene Phänomene der Integration durch Adaptation und zugleich der Bewahrung des mitgeführten Eigenen sowie letztlich Prozesse der Transkulturation (in) der America Romana.
Der Sammelband beginnt mit einem Beitrag von Johannes Kramer (Trier) zur Darstellung von „Amerika in Sebastian Münsters Cosmographia (1550 und 1628)“ [17–47]. Nach einer Bio-Bibliographie von Sebastian Münster (1488–1552) steht sein Werk im Vordergrund des Beitrages. Die Cosmographia erschien zwischen ← 8 | 9 → 1544 und 1628 in 21 deutschen Ausgaben (mit insgesamt 50.000 Exemplaren) und zwischen 1550 und 1572 in fünf auf ein Fachpublikum zugeschnittenen lateinischen Ausgaben (mit etwa 10.000 Exemplaren). In den von Münster selbst verfassten Versionen von 1550 (lat./dt.) wird Amerika im Buch V hinter China und vor Afrika behandelt; in der von Mitarbeitern der Druckerei verfassten Version von 1628 gibt es ein abschließendes eigenes Buch IX über die ‚Neue Welt‘. Als Gliederungskriterium in seinen eigenen Teilen nimmt Sebastian Münster die großen Entdeckerpersönlichkeiten, in der deutschen Version v.a. Kolumbus, während 1628 die geographische Abfolge der Länder an der Ostküste von Nordkanada bis Südfeuerland reicht und dann wieder an der Westküste von Süden nach Norden. Die Inseln Kuba (= Johanna/Juama) und Hispaniola (= Hispana/España) werden ausgewählt, um die Landschaft und die Bewohner darzustellen: Die Landschaft hat alle Eigenschaften eines locus amoenus. Die Menschen sind nackt, nicht durch Genussmittel verdorben und bereit, Gold gegen wertlose Dinge zu tauschen. Neben diesen friedlichen Einwohnern gab es aber auch menschenfressende Kannibalen, die ein negatives Gegenbild darstellen. Der Beitrag schließt mit der Wirkungsgeschichte, die das Amerika-Kapitel bei den Lesern haben musste, die sonst keinen Zugang zu Beschreibungen der ‚Neuen Welt‘ hatten.
Hans-Jürgen Lüsebrink (Saarbrücken) stellt in „Amerikanität und Amerikanisierung in der Québecer Gegenwartskultur. Entwicklungen, Paradoxien, literarische und filmische Darstellungsformen“ [49–70] anhand ausgewählter literarischer und filmischer Beispiele dar, wie sich das Konzept der Americanité in der Québecer Gegenwartskultur äußert. Die Diskussion um den US-amerikanischen Einfluss im kulturellen Bereich wird in Québec durch die Konzepte Amerikanisierung, Anti-Amerikanismus und Américanité bestimmt. Amerikanisierung bezeichnet den Transfer US-amerikanischer Lebensformen in andere Kulturräume und deren jeweiligen produktiv-kreativen Umgang mit diesem Einfluss. Als Anti-Amerikanismus wird die Kritik an der US-amerikanischen Kultur-, Sprach- und Wirtschaftshegemonie in ihren Ausprägungen von kulturkritischen Auseinandersetzungen bis hin zu radikaler Ablehnung bezeichnet. Diese kritische Haltung gegenüber den USA spiegelt sich in Québec, wie auch in Frankreich, in politischen, sozialen und insbesondere kulturellen Phänomenen wider. Beide Gesellschaften versuchen durch eine entsprechend ausgerichtete Sprach- und Kulturpolitik das frankophone Erbe zu erhalten, im Unterschied zur französischen wird diese in der frankophonen Gesellschaft Kanadas jedoch eher durch die intellektuelle Oberschicht getragen, während die Unter- und Mittelschicht stärker von der US-amerikanischen Massenkultur beeinflusst werden. Americanité schließlich ist ein v.a. literarisch-künstlerisch umgesetztes Konzept, dass die Verankerung ← 9 | 10 → des frankophonen Kanadas im amerikanischen Raum beschreibt und ihn von der französischen Kultur grundlegend unterscheidet. Im Mittelpunkt der Fiktionen einer Americanité steht nicht mehr die Außenperspektive einer regionalen Minderheit auf die USA. Vielmehr werden die transkulturellen Beziehungen und transkontinentale Gemeinsamkeiten Québecs mit dem gesamtamerikanischen Kontinent thematisiert. Diese Entwicklung ist die Fortführung eines transkulturellen Bewusstseins um die Zugehörigkeit zum amerikanischen Kontinent, weniger zur europäischen Kultur, das sich in Grundzügen in der frankophonen Gesellschaft Québecs bereits seit dem späten 19. Jahrhundert findet. Die Texte (und Filme), die im Bewusstsein dieser Americanité vermehrt seit den 1980er Jahren produziert werden, bieten eine Fülle an intertextuellen und intermedialen Bezügen zu amerikanischen (und europäischen) Autoren und zur US-amerikanischen Film- und Medienkultur, die sich die Autoren in kreativer und produktiver Form aneignen, um ein neues frankophones Selbstbewusstsein abzubilden.
Kristin Reinke, Guylaine Martel und Denise Deshaies (Québec) beleuchten in ihrem Aufsatz „La circulation de la nouvelle dans les téléjourneaux francophones du Québec: un cas particulier du discours rapporté“ [71–93]. Nachrichtensendungen sind durch eine berichtende Redewiedergabe (discours rapporté) gekennzeichnet. Ausgehend von einem Diskurs, dessen Original dem Publikum nur selten bekannt ist, werden in ihnen Nachrichten in Szene gesetzt und öffentlich verbreitet. Es ist daher interessant zu überprüfen, auf welche Art und Weise dieselbe Nachricht auf verschiedenen Sendern und über einen Zeitraum von einigen Tagen in den Nachrichtensendungen zirkuliert. Das Ziel dieses Beitrages ist es, einige Strategien der Wiederaufnahme, Weiterverarbeitung und Verbreitung der Nachrichten zu analysieren, die in der journalistischen Praxis verwendet werden. Dazu wird eine einzige Nachricht untersucht, die im Oktober 2005 auf allen frankophonen Sendern Québecs präsentiert wurde: die Premiere des Dokumentarfilms Les voleurs d’enfants von Paul Arcand. Es werden insbesondere die verschiedenen Inszenierungen der Nachricht als Strategien der Medienkommunikation sowie die diskursive und sprachliche Heterogenität der frankophonen Fernsehnachrichten herausgearbeitet.
Der Beitrag „Los maestros de idiomas – Plurizentrische Sprachräume als kommunikatives Konstrukt“ [95–118] von Rolf Kailuweit (Freiburg) behandelt die Plurizentrik des Spanischen als eine diskursiv konstruierte Vielheit, die nicht auf nebeneinander stehende nationale Standards reduziert werden kann. Ausgehend von einer Analyse von Radio- und Fernsehwerbespots der Biermarke Heineken wird gezeigt, dass für die Bedeutung einer nationalen oder regionalen Form des Spanischen weder allein die Sprecherzahlen an sich, noch der Grad der ← 10 | 11 → endonormativen Ausdifferenzierung entscheidend sind, sondern v.a. ihre Medienpräsenz, die sie international bekannt macht und ihr Prestige erhöht. Deshalb gibt es auch nicht zwei Dutzend Zentren des Spanischen, sondern deutlich weniger, wie bereits Oesterreicher (2001, 2006) feststellt. Seine These einer fehlenden diasystematischen Markierung in der Plurizentrik muss aber modifiziert und relativiert werden. Die in den Werbespots verwendeten Varietäten sind eindeutig informell und jugendsprachlich und zeigen eine Affinität zur konzeptionellen Mündlichkeit. Es handelt sich um ein Nähesprechen, das über die Medien in die Ferne wirkt. Die Sprecher des Spanischen sind heutzutage aufgrund ihrer Medienkompetenz maestros de idiomas: Sie beherrschen aktiv oder passiv ein Inventar von Markern, deren Zuordnung zu bestimmten Varietäten des Spanischen nicht willkürlich, aber bis zu einem gewissen Grad flexibel ist. Was jeweils als idioma angesehen wird und wie damit zu agieren ist, ergibt sich aus der jeweiligen Kommunikationssituation.
Andre Klump (Trier) illustriert in „Consultas lingüísticas y „Recomendaciones idiomáticas – Die Academias de la Lengua Española zwischen nationaler und panhispanischer Sprachpflege“ [119–129] das Bestreben der spanischen Sprachakademien um die Etablierung einer für alle Mutter- und Zweitsprecher gültigen Sprachnorm. Das Hauptaugenmerk des Aufsatzes liegt auf der akademischen Sprachberatung in Form der sogenannten consultas lingüísticas und sodann auf den aktuellen Sprachratgebern, den recomendaciones idiomáticas. Insbesondere die jüngst erschienenen, bislang von der Hispanistik unberücksichtigten Publikationen bestimmter Sprachakademien in Amerika (etwa der Academia Argentina de Letras oder der Academia Chilena de la Lengua) zeigen, dass die akademische Sprachpflege heute zwar grundsätzlich panhispanisch orientiert ist, sich demgegenüber in neuerer Zeit aber auch ein deutlicher Trend zur nationalen, varietätenspezifischen Ausrichtung abzeichnet.
Der Beitrag „Intersektionale Perspektiven auf Zeugenschaft und Life Writing. Afrodeszendente Auto/Biographien aus Kuba und Brasilien“ [131–174] von Natascha Ueckmann (Bremen) steht im Kontext eines aktuellen Forschungsinteresses der Romanistik an Fragen nach autobiographischem Schreiben in postkolonialen Zusammenhängen. Er untersucht, inwiefern eurozentristische, privilegierte Subjektkonzeptionen und autobiographische Genretraditionen auf ein subalternes Sprechen/Schreiben im transatlantischen Raum übertragbar sind bzw. welche Transformationen sie dabei durchlaufen. Ausgewählte Testimonios und Tagebücher aus Kuba und Brasilien bezeugen eine besondere ‚Geschichte von unten‘. Die vorgeschlagene Analyse von afrodeszendenten Lebensbeschreibungen verspricht ein erneuertes Verständnis auto/biographischer Texte aus transkulturellen und ← 11 | 12 → subalternen Räumen, das innovative Impulse für ein Weiterdenken des Gattungskonzepts bereithält. Einerseits unterlaufen die ausgewählten Beispiele von Life Writing den traditionellen Gattungsdiskurs und andererseits fordern die sich hier zu Wort meldenden Stimmen – angesichts ungleicher Ressourcenzugänge – privilegierte (zumeist weiße) Subjektpositionen heraus. Es ist zu fragen: Belegen afrodeszendente Testimonios, dass die Subalterne sprechen kann? Ist es ein Sprechenlassen, ein Zu-Wort-Kommen marginalisierter Subjekte?
In „‚Rück- und Ausblicke‘ auf die Sprachgeschichte Brasiliens“ [175–201] greift Sybille Große (Heidelberg) in einem ersten Schritt verschiedene Gesichtspunkte der Sprachgeschichte Brasiliens auf und zeigt, welche der Aspekte heute entweder als eher gesicherte Erkenntnisse oder Problembereiche aufzufassen sind. Zu den Faktoren der externen Sprachgeschichte gehören hierbei die Entdeckung sowie Kolonialisierung des Landes, die amerindischen Sprachen (línguas gerais), die Kreolisierung und der ‚afrikanische Einfluss‘ auf das brasilianische Portugiesisch sowie die sprachlichen Folgen der europäischen Migration und Binnenmigration. In einem zweiten Schritt werden methodologische Ansätze der Sprachgeschichtsschreibung anhand unterschiedlicher Periodisierungsversuche problematisiert. Eine abschließende Bewertung derzeitiger Projekte zur Sprachgeschichte Brasiliens legt gleichzeitig mögliche Lösungsansätze aktueller Forschungsdesiderata dar.
Christine Felbeck (Trier) fokussiert in ihrem Beitrag „Performar la(s) H/historia(s)“ [203–243] „Generationenidentitäten und (Re)Präsentationskritik in Lola Arias’ postdramatischem Theatertext Mi vida después und sein Potential transarealer Serialität“. Lola Arias, die sich als teatrista seit der Jahrtausendwende einen Namen gemacht hat, gilt seitdem als Shootingstar und Exportschlager einer innovativen argentinischen Theaterszene im Zeichen eines stark performativ ausgerichteten nuevo teatro documental. Ihr Erfolgsstück Mi vida después (UA: 2009) wird vor dem Hintergrund zweier theaterästhetischer Folien gelesen, den Arbeiten des Regiekollektivs Rimini Protokoll, die mit ihren sogenannten Experten des Alltags für den Paradigmenwechsel hin zu einem Theater als Realität stehen, und den Biodramen von Vivi Tellas, die Historias de vida auténticas auf die Bühne bringen. In seinem Ringen um (Re)Präsentationsformen des Vergangenen zeigt der postdramatisch konzipierte Theatertext von Lola Arias, wie Familien-Geschichte(n) die Nationen-Geschichte zur Zeit der argentinischen Militärdiktatur kreuz(t)en und sich zu dieser intersubjektiv zusammensetz(t)en. Individuelle Erlebnisse und Erinnerungen werden so in Form des Remake als kollektive Generationenerfahrungen – die der Leerstelle ‚Eltern‘ und die der Kinder – perspektiviert. Familie wird schließlich zum Vermittlungsraum, in dem über Erinnerungen auch eine Kontinuität zwischen den Generationen wirksam ← 12 | 13 → wird. Diese Postmemoria mit ihren intergenerationellen Transferprozessen, der mit Blick auf traumatische Kriegs- und Diktatur-Erfahrungen eine immanent transnationale Übertragbarkeit inhärent ist, erweist sich neben den experimentellen Facetten der Ariasschen Dramaturgie als Erfolgsgarant für das Stück Mi vida después. In diesem Sinne verdeutlichen der Ausblick auf dessen baugleiche argentinisch-chilenische Version El año en que nací (UA: 2012), das den großen Erfolg des Vorgängers fortzusetzen vermag, und seriale Adaptionsinteressen an diesen intergenerationellen Memoria-Performances in ganz Lateinamerika letztlich die Transarealität einer Postmemoria (in) der America Romana.
In „Übersetzen über den Atlantik. Amerikanische Übersetzerszenen und ihre Transformationen“ [245–260] untersucht Albrecht Buschmann (Rostock) die übersetzerischen Praxen, die nötig waren, um seit dem 16. Jahrhundert den Kulturkontakt zwischen Europa und den Amerikas zu realisieren. Anknüpfend an die Analysen Tzvetan Todorovs betrachtet er das Übersetzen bei Colón und Cortés und fragt zunächst im Sinne der kulturwissenschaftlichen „translation studies“ z. B. nach Machtanspruch und Sichtbarkeit der Übersetzungsakte sowie nach identitätsbildenden Prozessen im Kontext des Übersetzens. Da allerdings der Begriff des Übersetzens selbst inzwischen für die Beschreibung des kulturellen Wandels durch ubiquitären Gebrauch unscharf geworden sei, schlägt er zum besseren Verständnis die Begriffe „Ignorieren“ (Colón), „Umdeuten“ (Cortés) und für die Rezeption Malinches „Entkapselung“ vor.
Details
- Pages
- 322
- Publication Year
- 2016
- ISBN (PDF)
- 9783653054569
- ISBN (MOBI)
- 9783653971033
- ISBN (ePUB)
- 9783653971040
- ISBN (Hardcover)
- 9783631660676
- DOI
- 10.3726/978-3-653-05456-9
- Language
- German
- Publication date
- 2015 (September)
- Keywords
- Alte Welt Flughafen Las Américas hemisphärischer Verflechtungsraum Neue Welt
- Published
- Frankfurt am Main, Berlin, Bern, Bruxelles, New York, Oxford, Wien, 2015. 322 S., 15 farb. Abb., 4 s/w Abb., 16 Tab.