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Individuierungsverlauf eines Rechtsextremisten

Rekonstruktion der objektiven Lebensdaten von Uwe Böhnhardt

von Heike Würstl (Autor:in)
©2015 Dissertation 132 Seiten

Zusammenfassung

Die Autorin geht in dieser Arbeit der Fragestellung nach, wie aus Uwe Böhnhardt, einem der Kernmitglieder des Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU), ein rechtsextremistischer Gewalttäter wurde. Sie interpretiert seine objektiven Lebensdaten unter Anwendung der Methode der objektiven Hermeneutik und rekonstruiert den Prozess seiner Subjektwerdung. Damit trägt sie einerseits zur Erforschung des Entstehungs- und Radikalisierungsprozesses des Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU) bei. Andererseits überprüft sie wissenschaftliche Theorien zum Individuierungsverlauf von Rechtsextremisten. Im Ergebnis zeigt sich, dass Böhnhardt erhebliche Sozialisationsdefizite aufweist, die ihm die Ablösung aus seiner Herkunftsfamilie erschweren und auf die er mit kriminellen Handlungen reagiert.

Inhaltsverzeichnis

  • Cover
  • Titel
  • Copyright
  • Autorenangaben
  • Über das Buch
  • Zitierfähigkeit des eBooks
  • Inhaltsverzeichnis
  • Einleitung
  • I Theoretischer Teil
  • 1 Individuierung
  • 1.1 Begriffsbestimmung
  • 1.2 Bildungsprozess des Subjekts
  • 1.2.1 Einleitende Bemerkungen
  • 1.2.2 Ontogenese epistemischer Strukturen und Ausbildung praktischer Handlungsfähigkeit
  • 1.2.3 Transformation des epistemischen Subjekts in das autonom handlungsfähige, mit sich selbst identische Subjekt
  • 1.2.4 Individuelle Differenzen
  • 2 Rechtsextremismus
  • 2.1 Begriffsbestimmung
  • 2.1.1 Theoretische Grundlagen
  • 2.1.2 Politisiertheit
  • 2.1.3 Organisiertheit
  • 2.2 Rechtsextremismus als misslungene Ausformung der Adoleszenzkrise
  • 3 Individuierungsverläufe von Rechtsextremisten
  • 3.1 Forschungsstand
  • 3.2 Zusammenfassung
  • II Empirischer Teil
  • 1 Forschungspraktisches Vorgehen
  • 1.1 Methoden- und Fallauswahl
  • 1.2 Methodologische Grundlagen
  • 1.3 Methodisches Vorgehen
  • 1.4 Forschungsethische Reflexion
  • 2 Fallbestimmung
  • 3 Dateneinbettung
  • 4 Falldarstellung
  • 5 Objektive Lebensdaten
  • 6 Fallrekonstruktion
  • 6.1 Generation, Herkunftsmilieu, Herkunftsfamilie
  • 6.2 Lebenslauf
  • 7 Fallstrukturhypothese
  • Fazit
  • Quellenverzeichnis

← 8 | 9 → Einleitung

Im Jahr 2011 löste die Entdeckung des sogenannten Terrortrios Entsetzen aus. Schnell waren Ursachen für die Entstehung des Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU) ausgemacht: der staatlich verordnete Antifaschismus der DDR, die Erziehung zu autoritären Persönlichkeiten in der DDR, das Versagen der Sicherheitsbehörden usw. Heitmeyer konstatiert, dass in der öffentlichen Debatte die Entstehungs- und Radikalisierungsprozesse außer Blick geraten sind und stattdessen gesellschaftliche Selbstentlastung durch Abtrennung des Geschehens von der Gesellschaft stattfindet (vgl. Heitmeyer 2012: 22).

Ziel dieser Arbeit ist es, die von Heitmeyer benannte Lücke in der Erforschung des Entstehungsprozesses zu schmälern, indem das historische Gewordensein eines der Kernmitglieder des NSU rekonstruiert wird. Die Untersuchungsfrage lautet: Wie wurde aus Uwe Böhnhardt ein rechtsextremistischer Gewalttäter? Mit der Untersuchung wird einerseits ein konkretes praxisbezogenes Thema aufgegriffen und wissenschaftlich bearbeitet. Andererseits werden vorhandene wissenschaftliche Theorien überprüft, um einzelne Bestandteile gegebenenfalls zu falsifizieren oder zu präzisieren.

Theoretisches Fundament der Arbeit bildet die strukturale Soziologie von Ulrich Oevermann. Begriffe, die nicht weiter ausgeführt werden, sind im Kontext dieser wissenschaftlichen Position zu sehen. Der Zugang zum Phänomenbereich des Rechtsextremismus erfolgt über die Mikroebene. Im Fokus der Arbeit stehen die biografischen Entscheidungen eines einzelnen Individuums. Die Untersuchungsfrage soll durch die Rekonstruktion der objektiven Lebensdaten unter Anwendung der Methode der objektiven Hermeneutik beantwortet werden. Datengrundlage bilden Zeugenaussagen aus den parlamentarischen Untersuchungsausschüssen zur Aufklärung des NSU-Geschehens sowie dem sogenannten NSU-Prozess in München. Vereinzelt wird auf journalistisch recherchierte und publizierte Daten zurückgegriffen.

Im theoretischen Teil der Arbeit werden zunächst die Begriffe „Individuierung“ und „Rechtsextremismus“ definiert, abgegrenzt und konzeptualisiert. Danach wird das der Arbeit zu Grunde liegende Individuierungskonzept der ← 9 | 10 → strukturalen Hermeneutik erörtert. Sie geht davon aus, dass an das Subjekt zunächst von außen im Rahmen der sozialisatorischen Interaktion Strukturen herangetragen werden, die es ihm zunehmend ermöglichen, sich selbst zu konstituieren und Strukturen selbstständig zu deuten. Im Verlauf der Subjektwerdung muss es vier ontogenetisch bedingte Ablösungskrisen meistern. Der Grad, in dem dies gelingt, setzt Möglichkeiten und Grenzen für zukünftige biografische Entscheidungen.

Im Anschluss daran wird der Rechtsextremismusbegriff an Hand der Dimensionen der theoretischen Grundlage, Politisiertheit und Organisiertheit entwickelt. Als Rechtsextremist gilt im Kontext dieser Arbeit ein Individuum, in dessen Handeln sich nationalistische, ethnozentristische, antisemitische und pronazistische, den Nationalsozialismus verherrlichende oder verharmlosende Strukturen reproduzierend manifestieren.

Danach werden die beiden theoretischen Konzepte zusammengeführt und erläutert, wie Rechtsextremismus mit Hilfe der Individuierungstheorie erklärt werden kann. Beendet wird der theoretische Teil mit der Aufarbeitung des Forschungsstandes.

Der empirische Teil der Arbeit beginnt mit einer Erläuterung des forschungspraktischen Vorgehens. Im Anschluss wird der Fall bestimmt und die Dateneinbettung erörtert. Es schließt sich die Fallrekonstruktion an, in der die objektiven Lebensdaten unter Anwendung der Methode der objektiven Hermeneutik sequenziell interpretiert werden. Es werden zunächst die sozialisatorischen Bedingungen, insbesondere die generative, familiäre und milieubedingte Einbettung des Falls, erschlossen und anschließend die Lebenslaufdaten auf der Folie objektiv möglicher, aber nicht gewählter biografischer Optionen sequenziell ausbuchstabiert. Am Ende der Interpretation gilt es, die Hypothesen zur Geschichte der Subjektwerdung von Uwe Böhnhardt in den ihn konkret umgebenden historischen, gesellschaftlichen und sozialisatorischen Bedingungen zu einer abschließenden Fallstrukturhypothese zusammenzufassen. Im Fazit werden die Untersuchungsergebnisse an die bisherigen Forschungsergebnisse rückgekoppelt und theoretisch eingebunden, Forschungslücken benannt sowie die zu Tage geförderten persönlichkeitsstrukturellen Kontextbedingungen für die Entstehung und Radikalisierung des NSU dargelegt.

← 10 | 11 → I Theoretischer Teil

1Individuierung

1.1Begriffsbestimmung

Details

Seiten
132
Erscheinungsjahr
2015
ISBN (PDF)
9783653052541
ISBN (MOBI)
9783653971910
ISBN (ePUB)
9783653971927
ISBN (Paperback)
9783631660195
DOI
10.3726/978-3-653-05254-1
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2014 (Dezember)
Schlagworte
Nationalsozialistischer Untergrund NSU Rechtsextremismus Lebenslaufanalyse objektive Hermeneutik
Erschienen
Frankfurt am Main, Berlin, Bern, Bruxelles, New York, Oxford, Wien, 2015. 131 S.

Biographische Angaben

Heike Würstl (Autor:in)

Heike Würstl studierte Kulturwissenschaften und Soziologie an der FernUniversität Hagen.

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Titel: Individuierungsverlauf eines Rechtsextremisten