Jugendsprache in Schule, Medien und Alltag
Zusammenfassung
Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
- Cover
- Titel
- Copyright
- Autorenangaben
- Über das Buch
- Zitierfähigkeit des eBooks
- Inhaltsverzeichnis
- Einleitung: Jugendsprache in Schule, Medien und Alltag
- Jugendsprache und Schule
- Schule als sprachlicher und sozialer Erfahrungsraum für Jugendliche: Perspektiven der linguistischen Jugendsprachforschung
- Lernziel „Situationsangemessen kommunizieren“ – Schüler zwischen Unterrichtssprache und Jugendsprache
- Die Sprache Jugendlicher in schulischen Kontexten – eine Fallanalyse
- „das_s Voll verARsche hier“: Aligment und Disalignment mit jugendsprachlichen Praktiken in der Unterrichtsinteraktion
- Reflexionen zum Schreiben Jugendlicher in neuen Medien
- Über das Schreibverhalten Jugendlicher in und außerhalb der Schule: Eine empirische Untersuchung
- Compound errors in the new media and in schools
- Erscheinungsweisen von Jugendsprache im Schulalltag und Perspektiven für den Deutschunterricht
- Verbesserung des Sprachbewusstseins durch die Reflexion über Jugendsprache? – Umfrageergebnisse, Lehrwerkanalyse und Unterrichtsbeispiele
- Registererweiterung in gesprochener Sprache – Ein Konzept für einen Projektkurs
- ‚Kiezdeutsch‘ in Forschung und Lehre der Auslandsgermanistik
- Jugendsprache im DaF-Unterricht in Afrika – Positive Aspekte eines neuen didaktischen Verfahrens
- Jugendsprache im DaF-Unterricht, aber wie? Didaktisierungsvorschläge anhand authentischer und aktueller Sprachdaten
- Lästern über Mitschüler/innen und Lehrer/innen – Zur sprachlichen Ausprägung und kommunikativen Funktion des Sprachhandlungsmusters Lästern im Kontext Schule
- „Irgendwann muss man ja mal erwachsen werden.“ Spracheinstellungen und Sprach(differenz)bewusstheit in Hinblick auf Jugendsprache bei (Berufs-)SchülerInnen
- Medien
- WhatsApp-Chats. Neue Formen der Turnkoordination bei räumlich-visueller Begrenzung
- Von „Klugscheißern“ und „Grammatik-Nazis“ – Grammatische Normierung im Internet
- „Kaum [...] da, wird’ ich gedisst!“ Funktionale Aspekte des Banter-Prinzips auf dem Online-Prüfstand
- Höflichkeitsstrategien von Jugendlichen im Netz
- Code- und Script-Switching in Postings von chinesischen Germanistikstudierenden
- Jugendsprache und Facebook – Youth language and Facebook
- Jugendsprachliche Entlehnungen im Standarddeutschen − Reflexionen zum Einsatz in der Sprachlehre
- Neologismen und besondere syntaktische Strukturen in den Jugendzeitschriften Bravo, Bravo Girl! und Mädchen
- Sprachverwendung – Sprachvergleich
- Jugendsprache(n) in Österreich – Zur Interaktion von Dia- bzw. Regiolekt und alterspräferentiellem Sprachgebrauch
- Fine features. Youth language and culture in Brabant – The Netherlands
- Describing Teen Talk Across Languages. A Preliminary Corpus-Based Study
- Reihenübersicht
Einleitung: Jugendsprache in Schule, Medien und Alltag1
0. Die internationale Konferenz zur Jugendsprache
Seit den 70er Jahren des letzten Jahrhunderts ist die linguistische Analyse der Sprech- und Schreibweisen von Jugendlichen innerhalb des Fachs selbstverständlich geworden. Gegenstand der linguistischen Untersuchungen sind authentische Sprecher/-innen und Schreiber/-innen in institutionellen und alltagsweltlichen Situationen, ihre Sprech-, Gesprächs- und Schreibstile, ihre Identitätskonstruktionen und -konstitutionen als Individuen und als Gruppen. Zahlreiche linguistische Forschungsrichtungen beschäftigen sich mit Jugendsprache: die Kritische Lexikographie, die Ethnographie der Kommunikation sowie die interaktionale Linguistik, die Stilistik, Soziolinguistik, Semantik und Medienlinguistik. In jüngerer Zeit ist auch die Fachdidaktik Deutsch auf den Stellenwert der Jugendsprache aufmerksam geworden, u.a. durch die Studien von Eva Neuland zur Schülersprache: Zum einen als Grundlage einer Didaktik, die an die Lebenswelten Jugendlicher und damit auch an deren Jugendsprache anknüpft, zum anderen als Möglichkeit, curriculare Inhalte mit den Lebenswelten der Jugendlichen zu verbinden. In ihrer inzwischen zur Grundlagenliteratur gehörenden Einführung in die Jugendsprache belegt Eva Neuland (2008), dass nicht nur die Beschäftigung mit Jugendsprache historische Wurzeln hat, sondern dass auch der Zusammenhang von Jugendsprache und Schule bzw. Ausbildung bereits vor über zwei Jahrhunderten interessiert hat.
Die internationale Konferenz zur Jugendsprache, die 2014 in Karlsruhe stattfand und deren Vorträge in guten Teilen zu den Beiträgen dieses Bandes wurden, hat mit ihrem Schwerpunkt Jugendsprache in Schule und Unterricht Akzente gesetzt und Jugendsprache explizit mit der Institution Schule in Verbindung gebracht. Dieser Tagungsband wie auch die Tagung2, die in Kooperation der Pädagogischen Hochschulen Heidelberg (Janet Spreckels †) und Karlsruhe (Carmen Spiegel) organisiert wurde, stehen in der Tradition der 1998 von Peter ← 9 | 10 → Schlobinski in Osnabrück eröffneten Tagungsreihe – und den dazugehörigen Tagungsbänden – zu verschiedenen Aspekten von Jugendsprache, fortgesetzt 2001 an der Universität Wuppertal (Leitung: Eva Neuland), 2004 an der Universität Zürich (Leitung: Christa Dürscheid) und 2008 in Kopenhagen (Leitung: Normann Jørgensen) sowie 2011 an der Universität Freiburg (Leitung: Helga Kotthoff) – und sie wird 2016 in Graz (Leitung: Arne Ziegler) stattfinden.
1. Jugendsprache und Schule
Das Verhältnis von Jugendsprache und Schule ist traditionell kein einfaches: Die Schule als Institution ist dem Bildungsideal verpflichtet, das seine Vertreter/-innen, die Lehrpersonen, nach außen repräsentieren; die Jugendsprache wiederum dient als Ausdrucks- und Identifikationsmittel jugendlicher Gruppierungen, ist eher im Freizeitbereich situiert und repräsentiert einen Gegenpol zur Schule. Zugleich scheinen jugendsprachliche Praktiken und Ausdrucksweisen auch im schulischen Kontext auf, insofern sie eben Identifikationsmittel Jugendlicher sind. Und Erfahrungen und Erlebnisse im Schulalltag sind zugleich auch Thema im nichtschulischen Lebensbereich der Akteure. Mit diesem Spannungsfeld hat sich im vorliegenden Band Eva Neuland in ihrem Beitrag Schule als sprachlicher und sozialer Erfahrungsraum für Jugendliche: Perspektiven der linguistischen Jugendsprachforschung beschäftigt. Sie beschreibt, wie in den Medien (vom Wilhelm Buschs Lehrer Lämpel bis zum Film Fack yu göthe) und in verschiedenen Formen der mündlichen und schriftlichen Kommunikation der Schüler/-innen deren Verhältnis zur Schule und zu den Vertreter/-inne/-n der Institution zum Ausdruck kommen.
Insofern die Verwendung jugendsprachlichen Jargons und jugendsprachlicher Praktiken Zugehörigkeit signalisiert, stellt sich die Frage nach deren Gebrauch in der Institution Schule.
Während Pädagog/-inn/-en häufig die Brutalität und Vulgarität der Jugendsprache beklagen und Sprachpurist/-inn/-en Jugendsprache nahezu als Antipode zu Bildungssprache wahrnehmen, streicht die Sprachwissenschaft eher die Kreativität und Innovationsfreude von Jugendsprache heraus. Im schulischen Kontext prallen beide aufeinander: Typische Merkmale von Jugendsprache werden besonders dann offensichtlich, wenn Standardsprache bzw. ‚Bildungssprache’ erwartet oder gefordert wird, wie es in den Schulen oft der Fall ist.
Gesprächsanalytische Untersuchungen zeigen, dass Schüler/-innen unterschiedliche Sprech- und Gesprächsstile beherrschen und diese situationsspezifisch einsetzen: Sie verwenden im Unterricht gegenüber den Lehrkräften andere Interaktionsstile als gegenüber den Mitschüler/-inne/-n (Spiegel 2002, 2003, ← 10 | 11 → Baradaranossadat 2011, Neuland/Balskiemke/Baradanossadat 2010). Das belegen auch verschiedene Beiträge in diesem Band. Miriam Morek untersucht in ihrem Beitrag Lernziel „Situationsangemessen kommunizieren“ – Schüler zwischen Unterrichtssprache und Jugendsprache das sprachliche Agieren in schulischen und nicht-schulischen Kontexten exemplarisch an einem Schüler in verschiedenen Interaktionssituationen (5./6. Jahrgangsstufe). Mit der Frage nach dem situationsangemessenen Kommunikationsverhalten geraten die Kontextualisierungsleistungen der Akteure in den Fokus sowie deren Kontextualisierungskompetenz. Katrin Hee konzentriert sich in ihrem Beitrag Die Sprache Jugendlicher in schulischen Kontexten – eine Fallanalyse auf die Verwendung von Jugendsprache im Gruppen- und im Plenarunterricht. Entlang verschiedener Unterrichtstranskripte einer elften Klasse beschreibt sie exemplarische Merkmale der Jugendsprache. Auffallend ist, dass im Korpus ausschließlich im Gruppenunterricht jugendsprachliche Elemente verwendet werden, im Gegensatz zum Plenarunterricht, den die Jugendlichen sprachlich angemessen gestalten.
Selbstverständlich kommt es auch vor, dass die Jugendlichen im Klassenzimmer jugendsprachliche Ausdrücke verwenden; verständlich wird das mit Blick darauf, dass die Unterrichtssituation Lehrpersonen und Mitschüler/-innen als Akteure umfasst. Die Beteiligten haben interaktional Doppeladressierungen und damit auch Inszenierungen mit dualen Anforderungen zu bewältigen: Gegenüber der Lehrperson als kompetente Schüler/-innen und zugleich gegenüber den Mitschüler/-inne/-n als coole Jugendliche. Ein häufig auch von Lehrpersonen beklagter Bestandteil im Sprachrepertoire Jugendlicher sind Vulgarismen. Inwiefern Vulgarismen im Unterricht thematisiert werden können und sollten, ist Gegenstand der Diskussion (Bahlo 2012, Bahlo/Fladrich 2014). Sind „Bitch“ oder „Hurensohn“ als Umgangssprache auf dem Pausenhof vertretbar? Wie Lehrpersonen mit jugendsprachlichen Praktiken und Jugendsprache im Unterricht umgehen, hat Vivien Heller beschrieben. In ihrem Beitrag „das_s VOLL verARsche hier“: Aligment und Disalignment mit jugendsprachlichen Praktiken in der Unterrichtsinteraktion beschreibt sie Ergebnisse aus empirischen Untersuchungen von 120 Unterrichtsstunden (Mathematik und Deutsch) im 5. Schuljahr. Sie belegt, dass die Reaktionen der Lehrenden in Relation zur Funktion der im Unterricht verwendeten jugendsprachlichen Äußerungen beschrieben werden müssen.
Doch nicht nur der Gesprächsstil der Jugendlichen wird kritisiert; auch die zunehmende Online-Kommunikation Jugendlicher in sozialen Netzwerken veranlasst Pessimist/-inn/-en, vor einem Verfall der Schreibfähigkeit und vor Defiziten bei der mündlichen Kommunikation zu warnen. So stellt sich die Frage nach den möglichen ‚Folgen’ jugendsprachlicher Kommunikationsstile. Im Kreuzungsbe ← 11 | 12 → reich zwischen der Schule und den neuen Medien geraten die Schreibweisen der Jugendlichen in den Aufmerksamkeitsfokus der Sprachdidaktiker/-innen und Linguist/-inn/-en. Die Schule muss sich den neuen, nichtorthografischen Schreibpraktiken in den neuen Medien (vgl. Spiegel/Kleinberger 2006) ebenso stellen wie den Auftritten von Jugendlichen im Internet. In einem hochtechnisierten (inter-)kulturellen Kontext sind einerseits die Ansprüche an Schreib- und Lesekompetenzen sehr hoch, andererseits können Schreiber/-innen heute durch ihren Schreibstil ein Formalitätsniveau mitkreieren. Während in der Öffentlichkeit in regelmäßigen Abständen der „Untergang der deutschen Sprache“ prophezeit wird, für den u.a. Jugendliche und die neuen Medien maßgeblich verantwortlich gemacht werden (vgl. DER SPIEGEL 1984, 2006, GEO 2012), liegen von wissenschaftlicher Seite bislang wenige empirisch fundierte Untersuchungen zur aktuellen Schreibkompetenz Jugendlicher vor. Kleinberger/Spiegel (2006, 2010) und Spiegel/Kleinberger (2006, 2011) analysieren die schriftliche Kommunikation Jugendlicher in den neuen Medien im Vergleich zum normorientierten schulischen Schreiben und als interaktionale Praxis. Im groß angelegten SNF-Forschungsprojekt zu »Schreibkompetenz und neue Medien« (Universität Zürich) ging die Gruppe Dürscheid/Wagner/Brommer (2010) dem Einfluss der neuen Medien auf die Schreibkompetenz von Jugendlichen nach. Es stellt sich die Frage, ob das häufige, private Schreiben im Netz die Schreibkompetenz der Jugendlichen in normgebundenen Produktionssituationen verändert und sich Kontaktphänomene zwischen den verschiedenen Arten des Schreibens feststellen lassen.
Damit haben sich in diesem Band Franc Wagner und Ulla Kleinberger in ihrem Beitrag Reflexionen zum Schreiben Jugendlicher in neuen Medien beschäftigt. Dieser Frage geht das Autorenduo nach, indem es sowohl das Schreiben im Netz als auch Einschätzungen über die Schreibkompetenz aus unterschiedlichen Perspektiven in den Blick nimmt: Neben der Sprachverfalls-Debatte des öffentlichen Diskurses werden sowohl Untersuchungen zu den Einschätzungen der Lehrpersonen als auch Schülereinschätzungen vorgestellt.
Dass die Frage nach veränderten Schreibkompetenzen durch die Netzkommunikation Jugendlicher auch international beschäftigt, zeigen die beiden folgenden Beiträge: Eleonora Massa untersucht dies in ihrem Beitrag Über das Schreibverhalten Jugendlicher in und außerhalb der Schule: Eine empirische Untersuchung für Schüler/-innen im italienischen Sprachraum. Sie berücksichtigt gleichfalls die Sprachverfalls-Debatte in Italien und sie erstellt auf der Grundlage der Analyse von Schüler-Frage- und Arbeitsbögen, die auch Schreibaufgaben beinhalten, ein Profil der Schreibkompetenz (syntaktisch-grammatisch, Textproduktionskompetenz) und des Schreibverhaltens von Schüler/-inne/-n. Margrethe Hei ← 12 | 13 → demann Andersen nimmt in ihrem Beitrag Compound errors in the new media and in schools dänische Schüler/-innen und ihre orthographischen Fähigkeiten, insbesondere den für das Dänische problematischen Bereich der Getrennt- und Zusammenschreibung in den Blick. Sie vergleicht das Schreiben in den neuen Medien (Blogs u.a.) mit dem schulischen Schreiben (Diktat 9. Kl., Essays) von Jugendlichen.
Andererseits bietet sich gerade der schulische Unterricht für eine kreative, konstruktive und reflektierte Auseinandersetzung mit Jugendsprache an: Nicht nur im Kompetenzbereich „Reflexion über Sprache“, „Sprachbewusstsein entwickeln“ (oder wie die Formulierung in den Bildungsplänen der jeweiligen Bundesländer lautet) lässt sich das Thema Jugendsprache gut im Deutschunterricht verorten, sondern diverse weitere Inhalte lassen sich sinnvoll daran anknüpfen: Wortbildungsprozesse und grammatische Fragestellungen, Neologismen und Phraseologismen, Pragmatik und soziale Stile wie Kiezdeutsch, Sprachwandel und eben auch der Sprachgebrauch in den neuen Medien sowie weitere Aspekte können an, über und mit Jugendsprache behandelt werden. Sprach- und Literaturunterricht lässt sich leicht verbinden, indem man z.B. die Dialoge in Jugendromanen und –filmen von den Schüler/-inne/-n in Hinblick auf Authentizität untersuchen lässt. Auch ein fächerübergreifender Unterricht ist denkbar, indem man z.B. jugendsprachliche Rede- und Schreibweisen im Deutschen und in anderen Sprachen vergleicht. Jugendsprache spielt im Unterricht, auf dem Pausenhof und in der schulischen Nebenkommunikation eine Rolle (Neuland/Balskiemke/Baradanossadat 2010). Das zeigt auch Anka Baradaranossadat in ihrem Beitrag Erscheinungsweisen von Jugendsprache im Schulalltag und Perspektiven für den Deutschunterricht. Zunächst analysiert sie die Nebenkommunikation durch Schülerbriefchen, die dem Lehrer meist verborgen bleibt. Im Anschluss beschreibt sie die Verwendung von Jugendsprache während der Unterrichtskommunikation, die sie durch einen Fragebogen bei Lehrkräften erhebt, sowie Jugendsprache in schriftlichen Arbeiten und Hausaufgaben, die sie durch die Analyse von Lehrerkorrekturen sichtbar macht. Schließlich zeigt Anka Baradaranossadat Möglichkeiten für eine schulische Thematisierung von Jugendsprache auf. Auch Petra Balsliemke sieht methodische und didaktische Möglichkeiten der Nutzung von Jugendsprache im Unterricht. In ihrem Beitrag Verbesserung des Sprachbewusstseins durch die Reflexion über Jugendsprache? – Umfrageergebnisse, Lehrwerkanalyse und Unterrichtsbeispiele eruiert sie mittels Fragebogen, inwieweit Jugendliche sich ihres eigenen Sprachgebrauchs bewusst sind, und untersucht im Anschluss Lehrwerke, ob und inwieweit diese bei Jugendlichen ein Sprach(gebrauchs)bewusstsein entwickeln können. Zudem formuliert sie Anregungen für den ← 13 | 14 → Deutschunterricht. Zum Thema „Jugendsprache in Schulbüchern“ gibt es nur wenige Untersuchungen (z.B. Baurmann 2003, Maijala 2007). War dieses Thema früher eher randständig in Schulbüchern vertreten, so finden sich heutzutage in vielen Deutschlehrwerken Einheiten zu Jugendsprache (vgl. z.B. Schlurf/Wagner 2007), deren Inhalte und Methodik allerdings von sehr unterschiedlicher Qualität sind, wie auch Petra Balsliemke zeigt.
Vorschläge zum Thema Jugendsprache im Deutschunterricht (vgl. Dürscheid 2008, Grossmann/Peyer 2005, Stör 2007, Baradaranossadat 2011, Baurmann 2011 u.a.) und im Fremdsprachenunterricht (Schmelter 2011) liegen nur vereinzelt vor. Stattdessen kursieren Unterrichtsvorschläge von Referendar/-inn/-en und Studierenden im Internet, die inhaltlich und methodisch oft wenig fundiert sind. Hier bedarf es einer kritischen wissenschaftlich-didaktischen Diskussion und Fundierung, zumal die Reflexion über Jugendsprache inzwischen auch in die Bildungspläne Eingang gefunden hat (Bildungsplan Realschule BaWü, 55). In ihrem Aufsatz Registererweiterung in gesprochener Sprache – Ein Konzept für einen Projektkurs beschreibt Isa Auferkorte, wie Schüler/-innen einer elften Klasse mit Registerwechsel umgehen. Sie formuliert Aufgabenstellungen, die Jugendliche durch den Rückgriff auf spezifische Register lösen müssen, wie z.B. einerseits der Polizei, andererseits dem Freund einen Unfall zu schildern. Die Daten veranschaulichen, dass bereits das Formulieren von zusammenhängenden Begründungen den Probanden schwer fällt. Isa Auferkorte analysiert verschiedene Kategorien sprachlicher Merkmale, deren Verwendung eine erfolgreiche Situationsbewältigung ermöglichen.
Publikationen jüngerer Zeit zeigen, dass Jugendsprache im DaF-/DaZ-Unterricht ein interessantes Thema mit vielschichtigem Lernpotential darstellt (vgl. Neuland 2003, 2007, 2008, Lukjantschikowa 2003, Klose 2007, Maijala 2007). Ebenso wie bei den Lehrwerken im muttersprachlichen Unterricht besteht bei denen im DaF-Unterricht Optimierungsbedarf. Einige der Aufsätze dieses Bandes widmen sich der Möglichkeit, Jugendsprache als Thema im DaF-Unterricht zu behandeln. Christian Rink zeigt in seinem Beitrag ‚Kiezdeutsch‘ in Forschung und Lehre der Auslandsgermanistik, wie ‚Kiezdeutsch‘ in der Auslandsgermanistik im Unterricht verwendet werden kann, um nationale Identität sowie den medialen Diskurs des Begriffs näher zu bestimmen und zu untersuchen. Dabei verbindet er kulturwissenschaftlichen Unterricht mit sprach- und literaturwissenschaftlichen Ansätzen. Auch Eugeune Colinet Tatchouala beschäftigt sich in seinem Beitrag Jugendsprache im DaF-Unterricht in Afrika – Positive Aspekte eines neuen didaktischen Verfahrens mit der didaktischen Umsetzung von Jugendsprache in der kamerunischen Deutschdidaktik. Er beschreibt, welche Ausprägung Jugend ← 14 | 15 → sprache in Afrika hat und welche Anknüpfungspunkte zur deutschen Jugendsprache bestehen. Zudem analysiert er Jugendsprache als Motivationsfaktor und Sensibilisierungsmittel für die Sprachreflexion. Martin Wichmann untersucht in seinem Artikel Jugendsprache im DaF-Unterricht, aber wie? Didaktisierungsvorschläge anhand authentischer und aktueller Sprachdaten, wie Jugendsprache im DaF-Unterricht im Ausland vermittelt werden kann. Er beschreibt dabei näher ein Projekt, das aktuelle Film-, Musik- und Interaktionsbeispiele von Jugendsprache bereitstellt, da diese in gängigen Lehrmaterialien häufig künstlich und konstruiert wirken. Die Verwendung von authentischem Material wird exemplarisch anhand eines Unterrichtsbeispiels verdeutlicht.
In den letzten Jahren hat man sich im Deutschunterricht mit dem Genre der Ethnocomedy beschäftigt und jugendsprachliche Varietäten und jugendkulturellen Habitus in schulischen Projekten oder im Deutschunterricht reflektiert (Rösch 2005, Vogt 2006, Kotthoff 2009), um über die Analyse von Normverletzungen Einsichten in die Struktur der deutschen Grammatik zu erhalten, über die Analyse des Sprechstils die Performance (Theaterdidaktik) zu beschreiben oder entlang von Interviews mit Comedians und Berichten (z.B. Steuten/Strasser 2003) Beurteilungskriterien der Kritiker/-innen zu überprüfen. Auch die Auseinandersetzung mit jugendsprachlichen Praktiken (Lästern, Frotzeln, Dissen bzw. aggressive humoristische Spiele, vgl. Deppermann/Schmidt 2001, Spreckels 2006, Kotthoff 2009) im schulischen und nicht-schulischen, aber auch im medialen Kontext haben Forscher/-innen in den Blick genommen. In diesem Band beschreibt Diana Walther in ihrem Beitrag Lästern über Mitschüler/innen und Lehrer/innen – Zur sprachlichen Ausprägung und kommunikativen Funktion des Sprachhandlungsmusters Lästern im Kontext Schule Formen und Funktionen des Lästerns. Entlang zweier exemplarischer Lästerhandlungen von Schüler/-inne/-n, die in ihrer Freizeit über andere Schüler/-innen und über Lehrpersonen lästern, gibt sie einen tieferen Einblick in diesen Sprachhandlungstyp.
Es stellt sich nicht nur die Frage, inwieweit den Jugendlichen ihr Sprachgebrauch bewusst ist, sondern auch, inwieweit unterschiedliche schulische Biographien auch Auswirkungen auf die Verwendung der Jugendsprache und der Identifikation über Jugendsprache haben.
Damit beschäftigt sich Christian Efing in seinem Beitrag „Irgendwann muss man ja mal erwachsen werden.“ Spracheinstellungen und Sprach(differenz)bewusstheit in Hinblick auf Jugendsprache bei (Berufs-)SchülerInnen. Es geht ihm um den (Jugend-)Sprachgebrauch von Berufsschüler/-inne/-n: Wie sieht der Sprachgebrauch von Berufsschüler/-inne/-n aus und inwieweit ist er angemessen, denn diese bewegen sich nicht nur in der Institution Schule, sondern sie interagieren ← 15 | 16 → in ihren Lehrberufen mit unterschiedlichen sozialen Gruppen? Die Hypothese von Christian Efing, der Eintritt in die duale Ausbildung bewirke dahingehend Adaptionsprozesse, dass Jugendsprache früher abgelegt wird, scheinen Forschungen und erste Pilotstudien, von Studierenden im Raum Darmstadt durchgeführt, zu bekräftigen: Christian Efing kommt zu recht differenzierten und interessanten Ergebnissen.
2. Jugendsprache und Medien
Publikationen der letzten Jahre haben gezeigt, dass der Bereich Jugendsprache und Medien ein sehr vielschichtiges Forschungsfeld bildet. Das Spiel mit der Sprache, das Basteln am sprachlichen Material (Bricolage) sind nach wie vor typische Merkmale jugendlicher Kommunikation – beschrieben bereits bei Schlobinski et al. 1993. Dazu zählen in der SMS-Kommunikation z.B. Spiele mit reduzierter Grammatik und Dialektismen (Ich geh schon mal tamtam, Bin scho do, vgl. Androutsopoulos/Schmidt 2002, Schmidt 2006, Dürscheid/Stark 2011). Jugendliche Sprachspielereien enthalten Zitate, Titel, Medientexte, Werbesprüche oder verfremdende Äußerungen (vgl. Ayaß/Gerhardt 2012, Spreckels 2012a, Androutsopoulos 2013), so z.B. durch das Sprechen in gebrochenem Deutsch (Gemma Edeka?, Hesch mer Zigarett?). Derartige Formulierungen des Balkandeutschen oder des Türkenslangs müssen nicht als Beleg genommen werden, die Sprecher/-innen könnten nicht besser formulieren (Hinnenkamp/Meng 2005, Jørgensen 2004), sondern die Jugendlichen stellen ihr Medienwissen unter Beweis, indem sie Sprachfetzen z.B. aus Comedy-Sendungen imitieren (so bei Kaya Yanar, Bülent Ceylan, Mundstuhl oder Django Asül).
Zum Spiel mit der geschriebenen Sprache gehört auch das Spiel mit der Schreibweise. Interessant sind Non-Standard-Schreibweisen wie chillä oder kul, allez jutee zum 16 bdaaaaaaaaaaaaaay, näheres erzähl ich dir lieba unta vier augen =), also die phonetik-nahe Verschriftung von Anglizismen (Deppermann 1998, Androutsopoulos 2007, Paul/Wittenberg 2009). Außenstehenden fällt die häufige Kombination von Dialekt und Englisch auf (machma match). Für den jugendlichen Sprachgebrauch ist der häufige Wechsel von englischen und deutschen Satzteilen typisch (nicht schlecht, but not good enough, „Tschuessle, see you!) – ein Phänomen, das sich u.a. die Werbebranche seit geraumer Zeit zunutze macht: „Schlecker – for you. vor Ort (Ehrhardt 2007). Das Verwenden von Satzteilen in englischer Sprache (Why not, Check it out, No joke, No problem) und das Einfügen englischer Wörter in die deutsche Morphologie (eine bigge Party) hat schon Androutsopoulos (1997) beschrieben; in Blogs finden sich gleichfalls Beispiele (z.B. Dürscheid/Spitzmüller 2006 a und b). ← 16 | 17 →
Durch die Verlagerung von Anteilen der Kommunikation in die sozialen Netzwerke gerade bei Jugendlichen ist die Erforschung der Netzwerkkommunikation von Jugendlichen international ein lebendiges Feld und Gegenstand zahlreicher Untersuchungen (z.B. Bühler 2012, Boyd 2008, Gysin 2012, Hellberg 2012, Marx 2012, Tuor 2009, Voigt 2014, vgl. Androutsopoulos 2005, 2013). In diesem Band werten Eva L. Wyss und Barbara Hug in ihrem Beitrag WhatsApp-Chats. Neue Formen der Turnkoordination bei räumlich-visueller Begrenzung Screenshots von WhatsApp-Interaktionen aus. Sie analysieren die Rederechtverteilung und zeigen, wie die Teilnehmer durch chunking und pushing (das Aufteilen und das In-den-Vordergrund-Drängen von Nachrichten) versuchen, den Interaktionsbereich Bildschirm für sich zu beanspruchen. Auf diese Weise können die Interagierenden veranschaulichen, dass sie einen inhaltlich zusammenhängenden Beitrag formulieren und nicht vom Gegenüber unterbrochen werden wollen.
Reaktionen auf Normverstöße in der digitalen Kommunikation und wie diese von den Usern wahrgenommen werden, beschreiben Nils Bahlo, Tabea Becker und Daniel Steckbauer in ihrem Aufsatz Von „Klugscheißern“ und „Grammatik-Nazis“ – Grammatische Normierung im Internet. Sie untersuchen auf der Basis von 200 Datensätzen aus dem Internet (Forendiskussionen, WhatsApp-Einträge u.a.) die interaktive Bearbeitung von grammatischen Normverstößen unter Jugendlichen. Der Ausdruck Grammatik-Nazi bezeichnet dabei jemanden, der andere unangemessen maßregelt bzw. ist eine Zuschreibung von jemandem, der sich gemaßregelt fühlt. Banter-Interaktionen beschreibt Konstanze Marx in ihrem Artikel „Kaum [...] da, wird’ ich gedisst!“ Funktionale Aspekte des Banter-Prinzips auf dem Online-Prüfstand. Sie analysiert die Online-Kommunikation via Teamspeak (einer Software zur mündlichen Gruppenkommunikation) und Facebook-Posts und zeigt, dass insbesondere das interaktive Zusammenspiel zwischen den Beteiligten und die spielerische Annahme der Opferrolle zentral für die erfolgreiche Online-Banter-Interaktion ist. Bei Facebook-Posts ist zudem die Verwendung von Emoticons zur Markierung der Banter-Handlung essenziell. Dass auch Höflichkeit in der Online-Kommunikation relevant für eine erfolgreiche Interaktion ist, belegt Daniel Gysin in seinem Beitrag Höflichkeitsstrategien von Jugendlichen im Netz. Die medialen Bedingungen der schriftbasierten quasisynchronen Kommunikation im Netz erfordern in Teilen neue Umgangs- und Behandlungsweisen, welche die visuelle Abwesenheit des Gegenübers kompensieren. Daniel Gysin beschreibt Höflichkeitsformen und-strategien Jugendlicher in sozialen Netzwerken, die auf die Vermeidung von gesichtsbedrohenden Handlungen abzielen.
Durch den Kontrast von Untersuchungen, die Online-Kommunikation in unterschiedlichen Ländern analysieren, können sprachliche Gemeinsamkeiten ← 17 | 18 → und Unterschiede in den heutzutage omnipräsenten Kommunikationsplattformen herausgearbeitet werden. Ying Ma untersucht in ihrem Artikel Code- und Script-Switching in Postings von chinesischen Germanistikstudierenden nicht nur das Code-Switching von chinesischen Studierenden, sondern auch das Script-Switching. Hieraus lassen sich aufschlussreiche Erkenntnisse gewinnen, denn in den bisherigen Studien wurde meist dasselbe Schriftsystem verwendet. Das Korpus über 2300 Renren-Postings ermöglicht einen neuen Analysefokus. Ying Ma zeigt, wie der Wechsel zwischen den Sprachen (Chinesisch, Deutsch und Englisch) sowie den Schriftsystemen stattfindet und welche Funktionen er hat. Wie Jugendsprache in öffentlichen Posts auf Facebook verwendet wird, beschreibt Anja Vasiljevič in ihrem Beitrag Jugendsprache und Facebook – Youth language and Facebook. Ihr Untersuchungsfokus liegt auf der Lexik sowie auf dem morpho-syntaktischen Bereich, ihr Korpus umfasst den Erhebungszeitraum eines Jahres. Die Funde vergleicht sie mit Erkenntnissen anderer Forschungen im Bereich der Jugendsprache.
Einen Vergleich bei der Verwendung jugendsprachlicher Ausdrücke in deutschen Online- und Printmedien leistet Joachim Gerdes in seinem Artikel Jugendsprachliche Entlehnungen im Standarddeutschen − Reflexionen zum Einsatz in der Sprachlehre. Hierbei zeigt sich eine Zunahme von Substandardlexemen insbesondere im Online-Bereich. Die Analyse wird anhand von exemplarischen Lexemen (bspw. fluffig oder anbaggern) veranschaulicht. Joachim Gerdes schlägt einen Bogen zur Didaktik, indem er veranschaulicht, wie die beschriebene Verwendung des Substandards in der Presse durch die Sprachdidaktik aufgegriffen werden kann. Sanela Mešić untersucht in ihrem Artikel Neologismen und besondere syntaktische Strukturen in den Jugendzeitschriften BRAVO, BRAVO GiRL! und Mädchen, wie sich jugendsprachliche Begriffe, ausgehend von der Jugendzeitschrift Bravo, im deutschen Sprachraum verbreiten. Sie analysiert die Verwendung neuer jugendsprachlicher Ausdrücke in verschiedenen Ausgaben (2006 bis 2013), gleicht diese mit Google sowie COSMAS II ab, um deren Lexikalisierung zu überprüfen, und ordnet sie gegebenenfalls als Okkasionalismen ein.
3. Forschungsperspektiven auf Jugendsprache
Ein zentraler Forschungszweig speist sich aus der Konversationsanalyse in Kombination mit kultureller Ethnografie, hermeneutischer Soziologie, Performanzpragmatik, Grounded Theory und Gattungsanalyse. Branner (2002), Bloustien (2001), Eckert (2003), Goodwin (2006), Pujolar (2001), Schmidt (2004), Spreckels (2006), Spreckels/Kotthoff (2007) und viele andere sind hier zu nennen. Eine weitere etablierte Forschungsrichtung ist die interaktionale Linguistik, die das ← 18 | 19 → Sprechen und Kommunizieren Jugendlicher als Ausprägungsformen jugendkultureller Strömungen versteht. Daneben existieren die kulturanalytische Jugendsprachforschung (Neuland 2003) und die medienanalytische Forschung (z.B. Androutsopoulos 2011, Boyd 2008).
Seit jeher sind die Begriffe Jugend(sprache) und Identität eng miteinander verknüpft (vgl. Oerter/Dreher 1995); bereits gut untersucht ist auch im deutschsprachigen Raum der Bereich der Geschlechteridentitäten (vgl. Spreckels 2006, 2012b, Günthner et al. 2012). In der späten Kindheit werden Normen heterosexueller Paarbildung immer relevanter und in der Peer-Gruppe kommunikativ verhandelt (Breidenstein/Kelle 1998, Georgakopoulou 2003, Stenström 2003, Kotthoff 2010). Daneben spielen im Jugendalter natürlich auch sprachliche und nonverbale Praktiken, die der Queeren Linguistik zuzuordnen sind (Motschenbacher 2012), eine wichtige Rolle. Eckert (2003, 2014) und Goodwin (2006, 2014) haben Gender-Stilisierungen unter amerikanischen Jugendlichen erforscht, Branner (2002) und Spreckels (2006) für den deutschen Sprachraum. Spreckels beobachtete in ihrer Studie Konflikte von Mädchen mit ihrer weiblichen Geschlechtsrolle. Das zeigt, dass Mädchen sich heutzutage trotz der aktuellen Debatten um Chancengleichheit noch schwer tun mit ihrem Mädchensein. Unter den von Eckert et al. (2000) erforschten Schüler/-inne/-n ist die Einteilung in jocks und burnouts zentral. Die jocks sind pro-schulisch eingestellt, rauchen nicht, orientieren sich eher an globalen Mittelschichtswerten (vgl. Branner 2002). Die rauchenden burnouts verkörpern dagegen eher eine Art lokale Arbeiterklassenkultur und zelebrieren eine schulische Antihaltung, wie sie auch Spreckels (2006) beobachten konnte. In Anlehnung an Eckerts Studie untersucht Georgakopoulou aktuell das doing gender von Schülerinnen an britischen Schulen im Zusammenhang mit ihrem Medienkonsum (Georgakopoulou 2014). Die soziale Semiotik eines milieu- und geschlechtsanzeigenden Habitus muss von der deutschen Forschung zur Jugendkommunikation in Zukunft noch besser beschrieben werden (für Spanien vgl. z.B. Pujolar 2001).
Der Begriff der Multiethnizität und damit der Ethnolektalität spielt innerhalb der Internationalen Jugendsprachforschung seit geraumer Zeit eine große Rolle. Europaweit entstanden Mischsprachen, derer sich authochthone und allochthone Jugendliche bedienen und deren Grammatiken sie teils vereinfachen, teils mit Effekten von Mehrsprachigkeit ausstatten. Im deutschen Sprachraum ist dieser Phänomenbereich unter den Begriffen Türkenslang, Kanaksprak (in Anlehnung an das gleichnamige Buch von Feridun Zaimoglu) oder Ethnolekt erforscht worden (vgl. Auer 2003, 2007, 2012, Dirim/Auer 2004, Androutsopoulos 2006, Keim 2007, Wiese 2006, 2012). Diese Mischsprachen sind in Migrantenvierteln wie ← 19 | 20 → Berlin-Kreuzberg, Mannheim-Jungbusch und Hamburg-Mümmelmannsberg entstanden. Interessant ist, dass Kiezdeutsch in ethnisch gemischten Gruppen auch von Jugendlichen deutscher Herkunft benutzt wird (Auer 2003, Dirim/Auer 2004). Typisch für diese neuen Sprachstile sind Entlehnungen wie das türkische lan (für Kumpel) oder das arabische wallah (leitet sich von wa allah ab, wörtlich und Gott, und dient zur Bekräftigung, vgl. Bahlo 2010b). Daneben fallen phraseologische Kreationen wie musstu auf, bei denen Wörter zu einem neuen Ausdruck verschmolzen sind. Charakteristisch ist auch, Verben direkt mit Nomen zu kombinieren, unter Auslassung von Präpositionen und Artikeln (Hast du U-Bahn? – Nein, ich habe Fahrrad statt Fährst du mit der U-Bahn? – Nein, mit dem Fahrrad) und bei Ortsangaben die Präpositionalphrase auf ein Nomen zu reduzieren (Ich geh Schule).
In anderen Ländern sind vergleichbare Praktiken aufgefallen. In der Schweiz zeichnet sich unter Jugendlichen eher ein Balkandeutsch ab (vgl. Tissot/ Schmid/Galliker 2010). In Dänemark sind um den Sprachgebrauch der nach Dänemark Migrierten neue, hauptsächlich von Jugendlichen verwendete Varietäten entstanden. Deshalb spricht das Team um Jørgensen von languaging (2010b), um die plurilingualen Praktiken aller Jugendlichen zu zeigen. Hier ist nicht nur crossing im Sinne von Rampton (1995) der Sprachen Türkisch und Dänisch und der Varietäten mit hohem oder niedrigem Prestige auffällig, sondern verschiedene Distanzierungsstrategien vom normorientierten Sprechen oder vom Sprachgebrauch der Medien, aber auch vom inzwischen oft hypertypisierten Mischstil. Pia Quist hat das oben erwähnte wa allah für das Dänische ebenfalls beschrieben und sich darüber hinaus mit vielen anderen ethnolektalen Einflüssen auf das Dänische befasst (vgl. Quist 2008, Quist/Svendsen 2010).
Im vorliegenden Band skizzieren Arne Ziegler und Melanie Lenzhofer in ihrem Beitrag Jugendsprache(n) in Österreich – Zur Interaktion von Dia- bzw. Regiolekt und alterspräferentiellem Sprachgebrauch erste Ergebnisse eines Forschungsprojekts, das den Sprachgebrauch von österreichischen Jugendlichen untersucht. Dabei werden neben dem Dialektgebrauch auch das Stadt-Land-Gefälle sowie Einflüsse von Migrationssprachen in den Blick genommen. Jos Swanenberg untersucht in seinem Artikel Fine features. Youth language and culture in Brabant – The Netherlands den Sprachgebrauch Jugendlicher in Brabant. Sie verwenden Ausdrücke und grammatische Formen sowohl aus verschiedenen Dialekten als auch aus verschiedenen Sprachen. Yos Swanenberg beschreibt deren Sprachgebrauch als Ausdruck ihrer Identität.
Inzwischen werden in der Forschung Phänomene der Jugendsprache kulturell kontrastiv betrachtet (vgl. Zimmermann 2003) und damit „Universalien“ der Ju ← 20 | 21 → gendsprache herausgearbeitet. Sprachübergreifende Aspekte beschreibt Ignacio M. Palacios Martínez in seinem Aufsatz Describing Teen Talk Across Languages. A Preliminary Corpus-Based Study. Er untersucht lexikalische, grammatische und pragmatische Phänomene im Sprechen Jugendlicher, die über verschiedene Sprachen hinweg auftreten. Mehrere gesprochensprachliche Korpora (insbesondere spanische und englische, aber auch weiterer Sprachen) von Jugendlichen liegen seiner empirischen Analyse zugrunde, deren Ergebnisse er mit zahlreichen Beispielen verdeutlicht.
Die intensive und aspektenreiche wissenschaftliche Beschäftigung mit dem Phänomenbereich Jugendsprache zeichnet ein immer differenzierteres Bild: Sie zeichnet ein immer detailreicheres Verständnis der Verwendung jugendsprachlicher Varietäten in den verschiedenen Ländern, deckt sprach- und kulturübergreifende Verwendungsweisen und Praktiken auf, belegt den situationsspezifischen Umgang mit den variantenreichen Registern bei Jugendlichen und verweist auf neue adaptive (schrift-)sprachliche kommunikative und mediale Praktiken, die Jugendliche interaktiv entwickeln. Aus Sicht der Sprachdidaktik werden inzwischen Möglichkeiten aufgezeigt, Jugendsprache sowohl im Schulfach Deutsch als auch in der Fremdsprachenvermittlung zu thematisieren und zu reflektieren.
Mit den neuen Erkenntnissen werden weitere Forschungsdesiderate deutlich: die zukünftige Jugendsprachforschung wird auch in Zukunft ein spannendes wissenschaftliches Betätigungsfeld bleiben.
Literatur
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Details
- Seiten
- 410
- Erscheinungsjahr
- 2016
- ISBN (PDF)
- 9783653049503
- ISBN (MOBI)
- 9783653976618
- ISBN (ePUB)
- 9783653976625
- ISBN (Hardcover)
- 9783631657065
- DOI
- 10.3726/978-3-653-04950-3
- Sprache
- Deutsch
- Erscheinungsdatum
- 2016 (Februar)
- Schlagworte
- Schulsprache Neue Medien Deutsch als Fremdsprache Sprachbewusstsein Regiolekte
- Erschienen
- Frankfurt am Main, Berlin, Bern, Bruxelles, New York, Oxford, Wien, 2016. 410 S., 13 s/w Abb., 3 Tab.
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