Das Konzerninsolvenzverfahren
Ein Beitrag zur insolvenzrechtlichen Behandlung verbundener Kapitalgesellschaften
Zusammenfassung
Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
- Cover
- Titel
- Copyright
- Herausgeberangaben
- Ãœber das Buch
- Zitierfähigkeit des eBooks
- Vorwort
- Inhaltsverzeichnis
- Teil 1 Einführung und Gang der Untersuchung
- Teil 2 Grundzüge der Konzernbildung
- A Gründungsursachen von Konzernen
- I Institute der steuerlichen Organschaft
- II Haftungsminimierung
- III Begründung von Synergieeffekten
- B Rechtliche Rahmenstrukturen des Konzerns
- I Der Konzern als Rechtsbegriff
- 1 Gesellschaftsrechtlicher Konzernbegriff
- a) Unterordnungskonzern
- b) Gleichordnungskonzern
- 2 Handelsrechtlicher Konzernbegriff
- 3 Konzernbegriff der InsO/EuInsVO
- II Steuerung des Konzerninteresses
- 1 Konzernleitungsmacht im Aktienkonzern
- a) Aktienrechtlicher Vertragskonzern
- b) Faktischer Aktienkonzern
- 2 Konzernleitungsmacht im GmbH Konzern
- a) GmbH Vertragskonzern
- b) Faktischer GmbH Konzern
- C Betriebswirtschaftliches Konzernverständnis
- I Konzerntypisierung anhand der konzerninternen Leitungsstruktur
- II Konzerntypisierung anhand der wirtschaftlichen Verflechtung
- D Zwischenergebnis
- Teil 3 Auswirkungen der wechselseitigen Beziehungen verbundener Kapitalgesellschaften in der Insolvenz – Der „Domino-Effekt“
- A Einleitung
- B Kapitalflüsse innerhalb des Konzerngefüges
- I Besonderheiten auf Ebene der Insolvenzgründe
- 1 Auswirkungen der unternehmensvertraglichen Bindung – der Verlustausgleichsanspruch nach § 302 AktG in der Insolvenz
- a) Insolvenz der abhängigen Gesellschaft
- aa) Überschuldung gemäß § 19 InsO
- bb) Zahlungsunfähigkeit gemäß § 17 InsO
- cc) Drohende Zahlungsunfähigkeit gemäß § 18 InsO
- b) Insolvenz der beherrschenden Gesellschaft
- 2 Auswirkungen der faktischen Unternehmensverbindung
- a) Bilanzielle Wertberichtigung der Gesellschaftsanteile
- b) Gegenseitige Besicherung von Gesellschaftsverbindlichkeiten
- c) Zahlungs- und Unterstützungszusagen im Konzern
- aa) Begriffsbestimmung
- bb) Konzerninterne Patronatserklärung
- (a) Auswirkungen auf die Insolvenzgründe
- (b) Zwischenergebnis
- cc) Konzernexterne Patronatserklärungen
- (a) Auswirkungen auf das Vorliegen von Insolvenzgründen
- (b) [un]taugliches Sanierungsinstrument
- d) Kündigungsklauseln mit Konzernbezug
- e) Zwischenergebnis
- II Vermögensverschiebungen im Konzern
- 1 Masseanreicherung bei gleichzeitiger Massereduzierung
- 2 Konkurrenz auf Ebene der Insolvenzverwalter
- C Konzernleitung im eröffneten Regelinsolvenzverfahren
- I Unternehmensvertraglich begründete Leitungsmacht
- 1 Insolvenz der herrschenden Gesellschaft
- a) Leitungsmacht unter Geltung der KO
- b) Leitungsmacht unter Geltung der InsO
- 2 Insolvenz der abhängigen Gesellschaft
- II Faktisch begründete Leitungsmacht
- D Beendigung der umsatzsteuerlichen Organschaft nach der Rechtsprechung des BFH
- E Ergebnis Teil 3 – Wesentliche Problemfelder der wechselseitigen Beziehungen der verbundenen Unternehmen
- Teil 4 Verfahrensgestaltung nach Maßgabe des geltenden Rechts
- A Der „verdeckte Wahlgerichtsstand“298 des § 3 InsO im Rahmen der Konzerninsolvenz – „insolvency planning“ und „forum shopping“
- B Grundzüge der Insolvenzverwalterauswahl de lege lata
- I Bestellungspraxis
- II Interessenkonflikte und Pflichtenkollisionen in der Person des Insolvenzverwalters
- III Auflösung der Interessenkonflikte
- C Kooperationspflichten zwischen den Organen
- D Zwischenergebnis und Stellungnahme
- Teil 5 Koordinierungs- und Konsolidierungsvorschläge
- A Forderung nach einem materiellen Konzerninsolvenzrecht
- I Materielle Zusammenfassung der Haftungsmassen der konzernangehörigen Gesellschaften – materielle Konsolidierung
- 1 US-amerikanische „substantive consolidation“
- 2 Stellungnahme
- II „konzernspezifisches Sachwalterverfahren“
- 1 Intention
- 2 Regelungsansatz
- 3 Verfahrensrechtliche Regelungen
- 4 Materiell-rechtliche Regelungen
- 5 Stellungnahme
- B Forderung nach einem verfahrensrechtlichen Konzerninsolvenzrecht
- I Konzept der verfahrensmäßigen Konsolidierung
- 1 Skizzierung des Konzeptes des Einheitsverfahren
- 2 Skizzierung des Konzeptes der Verfahrenskonsolidierung durch analoge Anwendung der §§ 166 ff. InsO
- II Stellungnahme zu den Konzeptionen
- C Forderung nach Verfahrenszentralisierung
- I Zentralisierung durch Einführung eines Konzerngerichtsstandes
- 1 Prioritätsmodell
- 2 Zuständigkeit am Sitz der Konzernmutter
- 3 Prorogations- und Wahlzuständigkeitsmodell
- 4 Verweisungsmodell
- 5 Stellungnahme
- II Verfahrenskonzentration durch das Modell des Konzerninsolvenzverwalters
- 1 Vorteile der Bestellung eines personenidentischen Verwalters
- 2 Nachteile der Bestellung eines personenidentischen Verwalters
- 3 Stellungnahme
- D Forderung nach Verfahrenskoordination
- I Absichtserklärungen und Insolvenzverwalterverträge
- 1 Unzulässigkeit der Aufgabe verfahrensbezogener Rechte
- 2 Verlust der Unabhängigkeit
- II Koordination im Rahmen des Insolvenzplanverfahrens
- 1 Konsolidierung der Haftungsmassen
- 2 Koordination der Einzelverfahren
- 3 Stellungnahme
- E Zwischenergebnis Teil 5
- Teil 6 Konzernweite Eigenverwaltung
- A Überblick der Änderungen des Eigenverwaltungsverfahrens durch das ESUG
- B Fortbestand der Leitungsmacht in der Eigenverwaltung
- I Insolvente Muttergesellschaft mit solventen Tochtergesellschaften
- II Eigenverwaltende Tochtergesellschaften – Ende der Konzernleitungsmacht durch § 276a InsO
- 1 Beendigung der anteilsbedingten Leitungsmacht durch § 276a InsO
- 2 Beendigung der vertraglich begründeten Leitungsmacht durch § 276a InsO
- 3 Auswirkungen von § 276a InsO auf den Beherrschungsvertrag
- III Koordination durch die Bestellung des Sachwalters
- C Zwischenergebnis Teil 6
- Teil 7 Der Regierungsentwurf zu einem Gesetz zur Erleichterung der Bewältigung von Konzerninsolvenzen
- A Aktueller Stand des Gesetzgebungsverfahrens
- B Regelungsgegenstand des Reformvorschlages (Reg-E)
- I Der Konzernbegriff des Reformgesetzgebers, § 3 e Reg-E
- II Stellungnahme
- III Einführung eines Gruppengerichtsstandes, §§ 3 a-d Reg-E
- IV Stellungnahme
- V Verwalterbestellung bei Schuldnern derselben Unternehmensgruppe, § 56 b Reg-E
- VI Stellungnahme
- VII Zusammenarbeit der Organe des Insolvenzverfahrens, §§ 269 a-c Reg-E
- VIII Das Koordinationsverfahren, §§ 269 d-i Reg-E
- IX Stellungnahme
- X Eigenverwaltung, § 270 d Reg-E
- XI Änderungen durch Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
- 1 Anhebung von Grenzwerten
- 2 Erweiterung des Gruppenbegriffs um die GmbH & Co. KG
- 3 Umbenennung des Koordinationsverwalters
- 4 Stellungnahme
- C Zusammenfassendes Fazit zum Reg-E und den Änderungen durch den Rechtsausschuss
- D Inkrafttreten der Neuregelungen am 21.04.2018
- I Einzelheiten zu den Neuregelungen
- II Begründung eines Gruppengerichtsstands §§ 3 a bis 3 e InsO
- 1 § 3a InsO – Gruppen-Gerichtsstand
- a) Gesetzestext
- b) Regelungsinhalt
- aa) Untergeordnete Bedeutung
- bb) Prioritätsprinzip
- cc) Gemeinsames Interesse der Gläubiger
- dd) Antragsrecht
- 2 § 3b InsO – Fortbestehen des Gruppen-Gerichtsstands
- a) Gesetzestext
- b) Regelungsinhalt
- 3 § 3c InsO – Zuständigkeit für Gruppen-Folgeverfahren
- a) Gesetzestext
- b) Regelungsinhalt
- 4 § 3d InsO – Verweisung an den Gruppen-Gerichtsstand
- a) Gesetzestext
- b) Regelungsinhalt
- 5 § 3e InsO – Unternehmensgruppe
- a) Gesetzestext
- b) Regelungsinhalt
- III Antragserfordernisse des § 13a InsO
- 1 Gesetzestext
- 2 Regelungsinhalt
- a) Angaben nach § 13a Abs. 1 Nr. 1 InsO
- b) Angaben nach § 13a Abs. 1 Nr. 2 InsO
- c) Angaben nach § 13a Abs. 1 Nr. 3 InsO
- d) Angaben nach § 13a Abs. 1 Nr. 4 InsO
- e) Angaben nach § 13a Abs. 1 Nr. 5 InsO
- f) Angaben nach § 13a Abs. 2 InsO
- IV Einheitsverwalterernennung § 56b InsO
- 1 Gesetzestext
- 2 Regelungsinhalt
- V Kooperationspflichten
- 1 § 269a Zusammenarbeit der Insolvenzverwalter
- a) Gesetzestext
- b) Regelungsinhalt
- 2 § 269b Zusammenarbeit der Gerichte
- a) Gesetzestext
- b) Regelungsinhalt
- 3 § 269c Zusammenarbeit der Gläubigerausschüsse
- a) Gesetzestext
- b) Regelungsinhalt
- VI Koordinationsverfahren
- 1 § 269d Koordinationsgericht
- a) Gesetzestext
- b) Regelungsinhalt
- c) Verhältnis zur EuInsVO
- 2 § 269e Verfahrenskoordinator
- a) Gesetzestext
- b) Regelungsinhalt
- 3 § 269f Aufgaben und Rechtsstellung des Verfahrenskoordinators
- a) Gesetzestext
- b) Regelungsinhalt
- 4 § 269g Vergütung des Verfahrenskoordinators
- a) Gesetzestext
- b) Regelungsinhalt
- 5 § 269h Koordinationsplan
- a) Gesetzestext
- b) Regelungsinhalt
- 6 § 269i Abweichungen vom Koordinationsplan
- a) Gesetzestext
- b) Regelungsinhalt
- 7 § 270d Eigenverwaltung bei gruppenangehörigen Schuldnern
- a) Gesetzestext
- b) Regelungsinhalt
- Teil 8 Schlussbetrachtung
- Literaturverzeichnis
Teil 1 Einführung und Gang der Untersuchung
In den vergangenen Jahren wurden kontinuierlich Zusammenbrüche von konzernverbundenen Unternehmen dokumentiert. Längst ist anerkannt, dass auch weltweit operierende, diversifizierte Gesellschaftsgruppen dem Druck der Märkte ebenso stark ausgesetzt sind, wie regional tätige Einzelgesellschaften.
Der Zusammenbruch von konzernverbundenen Unternehmensgruppen wird oftmals durch ein großes öffentliches Interesse begleitet und steht unter besonderer medialer Beobachtung1. Die Konzernwirklichkeit drückt sich rechtlich in einer Haftungstrennung und Vermögensverlagerung, aber zugleich auch durch wechselseitige Verpflichtung der Gliedgesellschaften aus. Im Unterschied zu einem Einzelunternehmen mit mehreren Betriebsteilen, welche unter dem Dach eines einzelnen Rechtsträgers geführt werden, liegt der Mehrwert von Konzernen regelmäßig neben der Haftungstrennung in der Synergiebildung der finanziellen, personellen und organisatorischen Vernetzung der Konzernteile und ihrer vermögenswerten Güter.
Derartig verwobene Konstrukte begründen aber auch die Gefahr, dass Konzernteile in den Sog einer einzelnen, insolventen konzernangehörigen Gesellschaft, nicht notwendig der Muttergesellschaft, hineingeraten. Dieses als „Domino-Effekt“2 bezeichnete Phänomen stellt für die konzernangehörigen Gesellschaften ein erhebliches Insolvenzrisiko dar. Betrachtet man Schätzungen, sind ca. 50 % der Kapitalgesellschaften als konzernverbundene Unternehmen zu qualifizieren3. Weder das deutsche Gesellschaftsrecht noch das geltende Insolvenzrecht enthalten Regelungen, welche auf die Situation von gruppenagehörigen Gesellschaften zugeschnitten sind.
Nachdem sowohl die Kommission der Vereinten Nationen für Internationales Handelsrecht (UNCITRAL) Regelungen zur Behandlung von Konzerninsolvenzen niedergelegt4, als auch die Europäische Kommission konzernspezifische ←17 | 18→Bestimmungen in den Vorschlag für eine Verordnung zur Änderung der Europäischen Insolvenzverordnung (EuInsVO) aufgenommen hat5, zog das deutsche Bundesministerium für Justiz mit Veröffentlichung eines Diskussionsentwurfes eines Gesetzes zur Erleichterung der Bewältigung von Konzerninsolvenzen (Disk-E) vom 03.01.20136 nach.
Die dritte Stufe der von der Bundesregierung der 17. Legislaturperiode geplanten Insolvenzrechtsreform hat mit dem Diskussionsentwurf eines Gesetzes zur Erleichterung der Bewältigung von Konzerninsolvenzen (Disk-E) vom 03.01.2013 Konturen erhalten. Nach zahlreichen Reaktionen7 aus Wissenschaft und Praxis auf den Disk-E wurde dem Bundesrat der vom Kabinett beschlossene Regierungsentwurf vom 30.08.20138 (Reg-E) zur Stellungnahme vorgelegt.
Zu Beginn der 18. Legislaturperiode wurde dieser in den Bundestag eingebracht9. Sowohl Disk-E als auch der Reg-E haben in der nationalen Diskussion um die Einführung eines Konzerninsolvenzrechts erhebliche Reaktionen und Kritik ausgelöst10. Der Reg-E wurde am 14.02.2014 in den Bundestag zur ersten Lesung eingebracht und daraufhin zur weiteren Beratung an den Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz überwiesen11. Das Gesetzgebungsverfahren war in der Folge bis zum 09.03.2017 in der öffentlichen Wahrnehmung nicht weiter vorangeschritten12. Der Bundestag hat den durch den Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz13 geringfügig geänderten Gesetzesentwurf14 in zweiter und dritter Lesung am 09.03.2017 verabschiedet und dem Bundesrat zugeleitet. Dieser hat in seiner Sitzung vom 31.03.2017 keinen Antrag nach § 77 Abs. 2 GG ←18 | 19→gestellt, den Vermittlungssauschuss anzurufen15. Das Gesetz soll ein Jahr nach Verkündung in Kraft treten.
Auch von der Grundsatzdiskussion im deutschen Recht beflügelt, entschloss sich der europäische Gesetzgeber mit der am 05.06.2015 veröffentlichten EuInsVO (VO (EU) Nr. 848/2015) Vorschriften zu normieren, die die grenzüberschreitende Kooperation von involvierten Insolvenzgerichten und Insolvenzverwaltern (Art. 56 ff. EuInsVO) sowie durch Einführung eines Koordinationsverfahrens (Art. 61 ff. EuInsVO) zur Bewältigung der Insolvenzverfahren von konzernangehörigen Gruppengesellschaften verbessern sollen16.
Die Diskussion um die Einführung eines nationalen Konzerninsolvenzrechts ist keine Neue, sondern währt schon seit ca. dreißig Jahren. Mit der Vorlage des Diskussions- und Regierungsentwurfes eines Gesetzes zur Erleichterung der Bewältigung von Konzerninsolvenzen scheint damit die gesetzgeberische Entscheidung über das „Ob überhaupt“17 einer gesetzlichen Regelung gefallen zu sein18. Über die konkrete Ausgestaltung herrscht hingegen Dissens19.
Mittlerweile existiert eine Vielzahl von differenzierten Lösungsansätzen. „[D];ie Anzahl der Publikationen [ist] entsprechend kaum mehr überschaubar“20. Das Meinungsbild in der Literatur und Praxis zur Einführung eines Konzerninsolvenzrechts ist demgemäß breit gefächert. Es reicht von der Einstellung der Reformüberlegungen21 und der Ablehnung eines „wirklichen Regelungsbedarfs“22 bis hin zur ausdrücklichen Forderung nach Kodifizierung. Die Reformvorschläge sind vermehrt begrüßt, jedoch überwiegend mit deutlicher inhaltlicher Kritik versehen worden.
Das Konzerninsolvenzrecht als Recht im Spannungsverhältnis zwischen Gesellschafts-, Insolvenz- und Steuerrecht23 ist konfrontiert mit der Vielfalt der betriebswirtschaftlich begründeten Konzernwirklichkeit. Diskutiert wird ←19 | 20→der Bruch mit Tradition und Beständigkeit in Form des Rechtsträgerprinzips24. Fruchtbar gemacht werden sollen Erfahrungen von fremden Rechtsordnungen sowohl aus dem EU-Inland als auch dem EU-Ausland25. Das in § 1 InsO normierte Ziel der Insolvenzordnung, die bestmögliche Befriedigung der Gläubiger, hat weiter Bestand26.
In diesem Sinne entfalten schon die Änderungen der zweiten Stufe der Insolvenzrechtsreform des Gesetzgebers der 17. Legislaturperiode, welche mit Inkrafttreten des Gesetzes zur weiteren Erleichterung der Sanierung von Unternehmen (ESUG) am 01.03.2012 umgesetzt wurde, Auswirkungen auf konzerninsolvenzrechtliche Sachverhalte. Die durch das ESUG geänderten Vorschriften finden gemäß Art. 103g des Einführungsgesetzes zur Insolvenzordnung (EGInsO) bereits auf alle ab dem 01.03.2012 beantragten Verfahren Anwendung. Dennoch sind dessen Auswirkungen – soweit ersichtlich – noch nicht auf konzerninsolvenzrechtliche Auswirkungen monographisch untersucht worden27.
Die Überlegungen zu einem Insolvenzrecht der verbundenen Unternehmen sind von der Grundidee getragen, dass die gesteuerte Abwicklung einen Mehrwert gegenüber der Einzelbetrachtung bietet28. Eine koordinierte Behandlung von Insolvenzverfahren über die Vermögen von gruppenangehörigen Gesellschaften könne zu einer Maximierung der Haftungsmassen und damit zu einer im Vergleich zur jetzigen Abwicklung höheren Befriedigungsquote der Gläubiger führen.
Die insolvenzrechtliche Behandlung eines Unternehmensverbundes ist untrennbar mit den betriebswirtschaftlichen Abläufen innerhalb des Verbundes ←20 | 21→verzahnt, sodass die Betrachtung nicht nur auf rechtliche Aspekte beschränkt, sondern auch eine betriebswirtschaftliche Konzernbetrachtung angestellt werden muss, um das Gebilde Konzern greifbar zu machen.
Dementsprechend schwierig ist schon die Bestimmung des Regelungsgegenstandes eines künftigen Konzerninsolvenzrechts. Nach Küblers Begriffsdefinition aus dem Jahre 1984 sei das „Konzerninsolvenzrecht die Summe der rechtlichen Regeln, die es ermöglichen, bei einer im Konzern auftretenden Insolvenz – Muttergesellschaft und/oder Tochtergesellschaften – die Ziele des Konzerns im Sinne einer bestmöglichen Gesamtreorganisation oder -liquidation auch gegen divergierende Einzelinteressen von Konzerngliedern durchzusetzen“29.
Nach Jahren der wissenschaftlichen Diskussion über die Notwendigkeit und Ausgestaltung eines Konzerninsolvenzrechts hat sich die Begriffsdefinition der Konzerninsolvenz auf ein Mindestmaß reduziert. Vallender/Deyda definieren den Begriff der Konzerninsolvenz „als eine Situation, in der mindestens zwei Gesellschaften eines Konzerns insolvent gehen“30. So resümiert Rotstegge, „dass der Begriff der Konzerninsolvenz ein Sammelbegriff ohne Unterscheidungsmerkmal der Konzernstruktur ist, weder einen Aussagegehalt über die Interessenströmungen im Konzern und die Interesseneinbindung der einzelnen konzernierten Gesellschafter, noch über die Rechtsgrundlage der Konzernierung beinhaltet“31. Der Begriff Konzerninsolvenz beschreibt ein „Phänomen“32, auch wenn man dieses aufgrund der wirtschaftlichen Vielfalt der Erscheinungsformen nur schwer begrenzen kann.
Die vorstehenden Begriffsdefinitionen zeigen exemplarisch, dass zwar allgemein von Konzernen gesprochen wird, aber bereits die Frage unbeantwortet bleibt, welche Rechtsformen von konzerninsolvenzrechtlichen Regelungen de le ferenda erfasst oder ausgenommen werden sollen. Eingang in die konzerninsolvenzrechtliche Diskussion dieser Arbeit sollen all diejenigen Fallgestaltungen finden, bei denen Unternehmen auf eine solche Weise miteinander verbunden sind, dass eine erfolgreiche insolvenzrechtliche Behandlung dieser Unternehmen nur einheitlich erfolgen kann33. Um dieser Arbeit jedoch die nötige Kontur zu verleihen, werden grundsätzlich alle Sachverhalte in die konzerninsolvenzrechtliche ←21 | 22→Betrachtung einfließen, bei denen eine konzernrechtliche Verbundenheit im Sinne der §§ 15 ff. AktG vorliegt34, eingeschränkt mit der Maßgabe, die am häufigsten an Konzernverbindungen beteiligten Rechtsträger, nämlich die Kapitalgesellschaftsformen der GmbH und AG, genauer zu betrachten35.
Es soll untersucht werden, ob die Grundidee des Reformgesetzgebers zutreffend ist und Schwächen in der aktuellen Rechtsordnung vorhanden sind, die eine Ergänzung der InsO, auch nach Inkrafttreten des ESUG um weitere Vorschriften speziell zur Abwicklung von gruppenagehörigen Schuldnern, rechtfertigen. Die hieraus gewonnenen Erkenntnisse werden sodann auf den Reformvorschlag des Gesetzgebers übertragen und einer Bewertung zugeführt.
Ausgehend von der Untersuchung der Gründungsursachen und den zentralen Merkmalen einer Unternehmensgruppe sowohl aus rechtlicher wie betriebswirtschaftlicher Sicht (Teil 2), folgt die Erörterung der Haftungsverflechtungen der vor diesem Hintergrund verbundenen Gliedgesellschaften, um ein Verständnis des „Domino-Effektes“ und dessen Auswirkungen zu erhalten (Teil 3). Nachdem dadurch der Grundstein zu einer Erkenntnis der Kernproblematiken geschaffen wurde, schließt sich die Darstellung der Bewältigung dieser Probleme nach aktuellem Recht im Regelverfahren an (Teil 4). Darauf aufbauend werden die in Literatur und Praxis geäußerten wesentlichen Lösungsansätze zunächst für das Regelverfahren erörtert (Teil 5), um sodann den Blick auf die Besonderheiten der Verfahrensart der Eigenverwaltung nach der zweiten Stufe der Insolvenzrechtsreform zu richten (Teil 6). Die in diesen Teilen gefundenen Ergebnisse schließen mit einer bewertenden Darstellung des Regierungsentwurfes und seinen Gesetz gewordenen Ergänzungen durch den Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz ab (Teil 7) und werden zuletzt einer Zusammenfassung zugeführt (Teil 8).
←22 | 23→1 In jüngster Vergangenheit ist der Zusammenbruch der Steilmann Modegruppe in 2016 zu nennen.
2 Vgl. statt vieler Ehricke, Das abhängige Konzernunternehmen, S. 457; Jaffé/Friedrich, ZIP 2008, 1849, 1850.
3 Altmeppen in: MünchKommAktG, Einl. §§ 291 ff. Rn. 19, es sollen bspw. „drei Viertel der Aktiengesellschaften mit über 90 % des Kapitals in Konzerne eingebunden“ sein.
4 Vgl. UNCITRAL, Legislative Guide on Insolvency Law, Part three: Treatment of enterprise groups in insolvency, 2012; den Ansatz von UNICITRAL auf Basis des Aktienkonzernrechts ein konsolidiertes Konzerninsolvenzverfahren schaffen zu wollen, für unrealistisch haltend, K. Schmidt, ZGR 2011, 108, 129 f.
5 vgl. Europäische Kommission, COM (2012) 744 final vom 12. Dezember 2012, Abschnitt IVa – Insolvenz von Mitgliedern einer Unternehmensgruppe; Begr. Reg-E S. 14.
6 Diskussionsentwurf für ein Gesetz zur Erleichterung der Bewältigung von Konzerninsolvenzen, abgedruckt in Beilage zu ZIP 2/2013.
7 Vgl. beispielsweise Beck, DStR 2013, 2468f.; Brünkmans, ZIP 2013, 193 f.; Graeber, ZInsO 2013, 409 f.; Fölsing, ZInsO 2013, 413 f.; Leutheusser-Schnarrenberger, ZIP 2013, 97 f.; Frind, ZInsO 2013, 429 f.
8 BR-Drucksache 663/13; siehe hierzu bspw. K. Schmidt in: FS Kübler, S. 633 ff.
9 Vgl. Reg-E, BT-Drucks. 18/407.
10 Vgl. statt vieler, Römermann, ZRP 2013, 201 f.
11 Vgl. Mitteilung in ZIP 2014, A30.
12 Siehe auch S. 175 ff.
13 Bestehend aus den Personen: Dr. Heribert Hirte, Dr. Karl-Heinz Brunner, Richard Pitterle, Katja Keul und Renate Künast.
14 BT-Drucks. 18/11436.
15 BR-Drucks. 204/17.
16 Vgl. hierzu auch Vallender, ZIP 2015, 1513 ff.; Eble, NZI 2016, 115 ff.; Parzinger, NZI 2016, 63 ff.
17 Paulus, ZGR 2010, 270, 280.
Details
- Seiten
- 236
- Erscheinungsjahr
- 2019
- ISBN (PDF)
- 9783631786420
- ISBN (ePUB)
- 9783631786437
- ISBN (MOBI)
- 9783631786444
- ISBN (Paperback)
- 9783631783344
- DOI
- 10.3726/b15473
- Sprache
- Deutsch
- Erscheinungsdatum
- 2019 (April)
- Schlagworte
- Konzerninsolvenz InsO Verbundene Unternehmen Kommentierung
- Erschienen
- Berlin, Bern, Bruxelles, New York, Oxford, Warszawa, Wien, 2019. 236 S.