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Der gescheiterte Anti-Faschismus der SED

Rassismus in der DDR

von Harry Waibel (Autor:in)
©2014 Monographie 293 Seiten

Zusammenfassung

Über 8600 neo-nazistische, rassistische und antisemitische Propaganda- und Gewalttaten sind für die DDR belegt, bei denen es tausende Verletzte und mindestens zehn Tote gegeben hat. Der Anteil antisemitischer Angriffe liegt bei etwa 900 Vorfällen, davon betreffen etwa 145 Schändungen jüdischer Friedhöfe und Gräber. Der Anteil der rassistischen Angriffe liegt bei rund 725 Vorfällen. Rassismus, Neo-Nazismus und Antisemitismus waren Bestandteil des öffentlichen Lebens und sie wurden von der SED konsequent geheim gehalten. Die Ursachen dafür wurden geleugnet und verdrängt oder dem Einfluss des Westens zugerechnet, oder es wurden die Opfer selbst dafür verantwortlich gemacht. Da der Anti-Faschismus der SED keine effiziente Abwehr dieser gefährlichen politischen Strömungen hervorbringen konnte, wird er als gescheitert eingestuft.

Inhaltsverzeichnis

  • Cover
  • Titel
  • Copyright
  • Über das Buch
  • Autorenangaben
  • Zitierfähigkeit des eBooks
  • Inhaltsverzeichnis
  • Vorwort
  • 1. Einleitung
  • 1.1 Neo-Nazismus, Anti-Semitismus und Rassismus
  • 1.2 Neo-nazistische Gruppen
  • 1.3 Hooligans
  • 1.4 Skinheads
  • 2. Zu den Ursachen
  • 2.1 Völkischer Nationalismus
  • 2.2 Militarisierung von Staat und Gesellschaft
  • 2.3 Gescheiterter Anti-Faschismus
  • 2.4 Die Ideologie des „Marxismus-Leninismus“
  • 2.5 Anti-Semitismus und Anti-Zionismus
  • 2.6 Ineffektive anti-faschistische Abwehr
  • 2.7 Fehlgeschlagene Ent-Nazifizierung
  • 2.8 Schlussfolgerungen
  • 3. Rassistische Pogrome
  • 3.1 Angriffe auf Wohnheime für ausländische Arbeiter
  • 3.2 Angriffe auf Afrikaner (Angola, Mosambik usw.)
  • 3.3 Angriffe auf Araber (Algerien, Syrien, Tunesien usw.)
  • 3.4 Angriffe auf Asiaten (Vietnam, Afghanistan)
  • 3.5 Angriffe auf Kubaner
  • 3.6 Angriffe auf Ost-Europäer (Sowjet-Union, Ungarn, Polen, Jugoslawen usw.)
  • 3.7 Angriffe auf West-Europäer
  • 3.8 Angriffe bei Streiks bzw. Arbeitsniederlegungen ausländischer ArbeiterInnen
  • 4. Neo-Nazismus, Anti-Semitismus und Rassismus
  • 4.1 Neo-nazistische, anti-semitische und rassistische Angriffe
  • 4.2 Angriffe auf Afrikaner (Angola, Mosambik usw.)
  • 4.3 Angriffe auf Araber (Algerien, Syrien, Tunesien usw.)
  • 4.4 Angriffe auf Asiaten (Vietnam, Indonesien, Japan usw.)
  • 4.5 Angriffe auf Latein-Amerikaner (Kuba, Chile, Guyana usw.)
  • 4.6 Angriffe auf Ost-Europäer (Sowjet-Union, Polen, Ungarn usw.)
  • 4.7 Angriffe auf West-Europäer (Portugal, Griechenland, Türkei usw.)
  • 4.8 Angriffe bei Streikaktionen ausländischer ArbeiterInnen
  • Abkürzungen
  • Quellenverzeichnis
  • Literaturverzeichnis
  • Ortsverzeichnis

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Vorwort

Ich bedanke mich bei meiner Freundin und Frau Marita Waibel für ihr kreatives Engagement. Des Weiteren gilt mein Dank den MitarbeiterInnen der „Jahn-Behörde“ und besonders Michael Zingler, der mir über die Jahre hinweg, immer die relevanten Archiv-Materialien zur Verfügung gestellt hat.

Mein Dank geht an die MitarbeiterInnen der Staatsbibliothek in der Potsdamer Straße für ihre gründlichen Auskünfte.

Dr. Benjamin Kloss, leitender Lektor beim Peter Lang Verlag, half mir die Klippen zu umschiffen, die ich alleine nicht hätte bewerkstelligen können.

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Wer aber vom Rassismus in der DDR nicht reden will,
sollte auch vom Anti-Faschismus schweigen

1. Einleitung

Mit den Ergebnissen der Forschungsarbeit zu diesem Buch ist mir klar geworden, dass die sektiererische Politik der KPD, besonders in der Endphase der „Weimarer Republik“, als sie auf Geheiß des Exekutivkomitees der Kommunistischen Internationale, den Kampf gegen die faschistischen Parteien einstellte und die SPD zum Hauptfeind erklärte, den Sieg der Nazis befördert hat. Und so wie der theoretische und praktische Anti-Faschismus der KPD an den eigenen Fehleinschätzungen gescheitert ist, so ist auch der Anti-Faschismus der SED gegenüber den Neo-Nazis, Rassisten und Anti-Semiten in der DDR gescheitert.

Die DDR war ein von der Sowjet-Union initiierter und von der SED kontrollierter diktatorischer Staat, der während seiner gesamten Existenz vor allem durch offenen und latenten Terror gegenüber der Bevölkerung aufrecht erhalten werden konnte. Ihre Gründung geht zurück auf Absprachen zwischen der KPD bzw. SED einerseits und der KPdSU andererseits und brachte zum Ausdruck, was in der kommunistischen Arbeiterbewegung in den 1920er Jahren, von den Bolschewiki bzw. von Lenin und Stalin zur gängigen Ideologie und Praxis eines „Sozialismus in einem Land“ entwickelt wurden, was die KPD zum Bestandteil ihrer Programmatik und Politik werden ließ. Die SED, wie sich die KPD nach der Zwangsfusion mit der SPD nannte, durchdrang und beherrschte, mit ihrem autoritär geführten Parteiapparat, mit ihren Massenorganisationen (FDGB, FDJ usw.), mit den von ihr in der „Nationalen Front“ gleichgeschalteten Blockparteien (CDU, LDP, NPD usw.) und vor allem durch die Instrumentalisierung des Staatsapparates (MfS, MdI usw.) die ost-deutsche Gesellschaft und ihre Bevölkerung.1

Ähnlich wie die SED das Thema „Anti-Semitismus“ behandelte, erging es auch dem Thema „Rassismus“, wenn bis heute behauptet wird, in der DDR hätte es das nicht gegeben. Wenn doch, dann wären es „kriminelle“ oder „asoziale“ Elemente der ost-deutschen Gesellschaft gewesen, die in der Regel durch den schädlichen, weil negativen und zersetzenden Einfluss westlicher Medien oder Agenten dazu gebracht worden wären, die Gesetze der DDR zu verletzen. Wissenschaftliche oder ← 9 | 10 → journalistische Publikationen über rassistische Vorfälle waren in der DDR nicht vorhanden – so war das von der SED postulierte und konsequent durchgesetzte Publizierungs- bzw. Forschungsverbot zu rassistischen Ereignissen äußerst „erfolgreich“. Rassisten und Anti-Semiten waren Teil einer sozialen Realität, die ich als Bestandteil der dunklen Seite der DDR bezeichnen möchte und sie bildeten die Kerne einer ansonsten amorph strukturierten reaktionären Masse, die den sozialen und politischen Verhältnissen kritisch gegenüberstand.

Im Anhang sind ca. 600 neue Informationen dokumentiert, die aus Quellen der Archive des Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Ministeriums für Staatsicherheit, der ehemaligen DDR (BStU) stammen. In der Regel wurden sie als „Geheime Verschlußsache“ (GVS), „Vertrauliche Verschlußsache“ (VVS), „Streng vertraulich“ (SV) oder „Nur für den Dienstgebrauch“ (NfD) deklariert. Diese Informationen sind in der Regel beim MfS zu finden und zwar in der Hauptabteilung II (HA II) Spionageabwehr, in der Hauptabteilung IX (HA IX) Zentrale Ermittlungsabteilung, die in allen Fällen mit politischer Bedeutung zuständig war. Ebenso war die Hauptabteilung XX (HA XX) Staatsapparat, Kultur, Kirche, Untergrund damit befasst. Die Zentrale Auswertungs- und Informationsgruppe (ZAIG) war als strukturierende Institution für Koordinierungsaufgaben zuständig, sowie für die Übermittlung von Informationen, zu denen auch rassistische Ereignissen subsumiert wurden. Die Übersicht über die organisatorischen Strukturen des MfS zeigt, dass es in der Organisation keine Stelle gab, deren ausschließliche Aufgabe gewesen war, Informationen zu Rassisten zu sammeln und weiterzugeben. Zusätzlich zu diesen Quellen werden Berichte aus den Bezirksverwaltungen des MfS ausgewertet.

Seit dem Beitritt der DDR zur BRD, also seit 1990, haben in Deutschland, nach offiziellen Zahlen des Bundesamtes für Verfassungsschutz (BfV) über 300 000 neo-nazistische bzw. rassistische Propaganda- und Gewaltstraftaten stattgefunden.2 In diesem Zeitraum gab es mehrere hundert Tote und tausende Verletzte.3 Der Anteil ost-deutscher Täter stammt überproportional (3:1), gemessen an der Zahl der Einwohner, aus den fünf neuen Ländern und diese Struktur lässt sich ebenfalls in Berlin feststellen, wenn man die Berliner Bezirke im Osten und im Westen vergleicht. Diese Tatsachen bedürfen einer wissenschaftlichen Erklärung, weil doch immer fälschlich behauptet wird, diese Entwicklung sei ausschließlich den sozialen und politischen Verwerfungen seit dem Vereinigungsprozess geschuldet. ← 10 | 11 → Durch die vorgelegten historischen Beweise eines speziellen und wirkungsmächtigen Rassismus in der DDR wird klar, dass die gegenwärtige Situation wesentlich auch der Tatsache einer rassistischen Kontinuität geschuldet ist. Es braucht also den historischen Blick und die historische Analyse um zu verstehen, vor welchen Gefahren wir jetzt stehen. Erst mit dem wissenschaftlichen Verständnis für die Komplexität des Geschehens, lässt sich begreifen, wie diese nationalistischen Explosionen der Gewalt seit mehr als zwei Jahrzehnten angelegt sind und wie es möglich wurde, dass weder der deutsche Staat noch seine Gesellschaft in der Lage sind, die rassistische Dynamik einzudämmen. Die rassistischen Übergriffe gegen weitgehend schutzlose Minderheiten, werden vom herrschenden Konsens in der Regel verharmlost oder nicht zur Kenntnis genommen.

Ausgangspunkt des Anti-Faschismus der deutschen Kommunisten war und ist die Reduktion der Ursachen des „Faschismus“ allein auf die politisch-ökonomischen Sektoren und vor allem auf den Finanzsektor der kapitalistischen Volkswirtschaft, gemäß den Vorgaben durch die Dimitrow-Thesen vom VII. Weltkongreß der Kommunistischen Internationale vom 2. August 1935 mit der der Charakter des Faschismus als eine „terroristische Diktatur der reaktionärsten, chauvinistischsten, am meisten imperialistischen Elemente des Finanzkapitals“ bestimmt wurde. Das Volk wäre diesem Treiben quasi hilflos ausgeliefert und „die Massen des Kleinbürgertums, selbst ein Teil der Arbeiter, […]“ wären Opfer der sozialen und chauvinistischen Demagogie des Faschismus geworden. Die SED war dem Glauben verfallen, sie hätte durch die Verstaatlichung der Großindustrie, des Großgrundbesitzes, der Banken und der Handelskonzerne, einen Staat ohne Rassismus gegründet. Jedoch anders als das was die Dimitroff-These aussagt, sind Rassismus, inklusive Anti-Semitismus, sowie Autoritarismus und Sexismus die Achsen einer Politik, auf denen Nazis ihre Politik entwickeln. Dass die falsche These von Dimitroff noch heute Bestand hat, zeigte sich bei Sarah Wagenknecht von der Partei „Die Linke“, als sie in der TV-Talkrunde „Anne Will“ am 20. Februar 2013 diese Position für ihre Partei als immer noch gültig wiedergab.

Das Ergebnis der Bemühungen der SED war jedoch nicht die Befreiung der ost-deutschen Bevölkerung von rassistischen und autoritären Überzeugungen, sondern die Konstituierung einer klein-bürgerlichen Gesellschaft, in der ehemalige Nazis funktionaler Bestandteil der von der SED dominierten Eliten wurden. Diese Entwicklung hatte für das gesellschaftliche und individuelle Bewusstsein der Masse der Ost-Deutschen tiefgreifende Folgen und die Führung der SED versuchte dieses Bewusstsein insofern zu transformieren, als sie die Bevölkerung an die Seite der siegreichen UdSSR stellte und suggerierte, sie seien damit quasi Sieger und legitime Erben der Geschichte der deutschen Nation nach 1945.

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Im Weiteren behandle ich die historischen und ideologischen Ursachen des Scheiterns des Anti-Faschismus der deutschen Kommunisten beim Kampf gegen Neo-Nazismus, Rassismus und Anti-Semitismus in der DDR und ich beschreibe den Rassismus anhand der staatlichen Behandlung der ausländischen ArbeiterInnen und den Rassismus aus der Mitte der Gesellschaft, wo sich rassistischen Mobs entwickeln konnten. Desweiteren zeige ich auf, wie durch die herrschenden Ideologien, wie dem „Anti-Faschismus“ und dem „Marxismus-Leninismus“ eine Wahrnehmung der rassistischen Wirklichkeit unmöglich wurde, weil nicht sein konnte, was nicht sein durfte.

Hier werden auch die nationalistischen und anti-semitischen Linien sichtbar, die schließlich nicht nur viele Juden zu Flucht genötigt hat, sondern die auch dazu führten, dass die SED mit den Feinden Israels militärische und politische Bündnisse einging. Dieser anti-semitische Anti-Zionismus bestimmte über mehrere Jahre die Innen- als auch die Außenpolitik und noch heute gibt es in der Nachfolgepartei der SED, also der Partei „Die Linke“, eine Position, die dieses historische Bündnis weiterführen möchte. Dazu gibt es einen Abschnitt über die Ursachen der Entstehung dieser Ideologie, ausgehend von den anti-semitischen Wellen ab den 1940er Jahren, als in der Sowjet-Union „Säuberungen“ durchgeführt wurden. Dazu beschreibe ich die Auswirkungen des Rassismus in der DDR auf das vereinte Deutschland und analysiere die publizistische Fortsetzung der verleugnenden Verdrängung durch die orthodoxen Verteidiger der politischen und sozialen Verhältnisse in der DDR. Das Spektrum des Rassismus in der DDR erstreckte sich von unzähligen Schändungen von Gräbern auf jüdischen Friedhöfen unmittelbar nach dem Ende des II. Weltkrieges, über Hakenkreuzschmierereien ab den 1950er Jahren bis hin zu Pogromen mit unzähligen Verletzten und mindestens 10 Toten in den 1970er und 1980er Jahren.

Ein für diese Forschungsarbeit zentraler Begriff ist „Anti-Faschismus“, der bis heute politisch eingesetzt wird, um die Trennlinie zu den „Faschisten“ bzw. „Neo-Faschisten“ deutlich zu machen. Der Begriff der dem zu Grunde liegt ist „Faschismus“, den ich in meinen früheren Arbeiten eingesetzt und verteidigt habe, wofür ich von den akademischen Historikern und Politologen abgestraft wurde. Im Kapitel über die Ursachen des Neo-Nazismus und Rassismus analysiere ich den Begriff „Faschismus“ kritisch, weil ich ihn, so wie die kommunistische Orthodoxie ihn begreift und anwendet, als unbrauchbar und als demagogisch instrumentalisiert ansehe. Deshalb verwende ich in meinen neueren Arbeiten die Begriffe „Nazis“ bzw. „Nazismus“ und „Neo-Nazis“. Ähnlich wie die SED das Thema „Anti-Semitismus“ behandelte, erging es auch den Themen „Neo-Nazismus“ und „Rassismus“, wenn behauptete wurde, in der DDR habe es das nicht gegeben. Wenn doch, dann wären es kriminelle oder asoziale Elemente der ost-deutschen Gesellschaft gewesen, die in der Regel durch den schädlichen, weil negativen und zersetzenden Einfluss westlicher Medien oder Agenten ← 12 | 13 → dazu gebracht worden wären, die Gesetze der DDR zu verletzen. So lautet der Tenor der Abwehr gegen neue Einsichten, selbst wenn sie auf historischen Tatsachen beruhen. Mein Lernprozess entwickelte sich aus meinen Einsichten in insgesamt ca. 1 500 unveröffentlichte Archivmaterialien, in denen über 8 600 neo-nazistische, rassistische und anti-semitische Propaganda- und Gewalttaten belegt werden; der Anteil anti-semitischer Angriffe liegt bei ca. 900 Vorfällen, davon betreffen ca. 145 Vorfalle Schändungen von jüdischen Friedhöfen und Gräbern. Der Anteil der rassistischen Angriffe liegt bei ca. 725 Vorfällen. Zum Belegmaterial lässt sich sagen, dass es aus unwiderlegbaren Quellen stammt und es entspricht den Tatsachen, dass alle diejenigen Fakten, die sich mit der offiziellen Fiktion nicht vertrugen oder sie hätten widerlegen können, so behandelt wurden, als existierten sie nicht.4

Wissenschaftliche oder journalistische Publikationen über solche Vorfälle waren in der DDR nicht vorhanden, obwohl Neo-Nazis, Rassisten und Anti-Semiten Teil einer sozialen Realität waren, die ich als Bestandteil der dunklen Seite der DDR bezeichnen möchte. Sie bildeten die Kerne einer ansonsten amorph strukturierten Masse und deren rassistische Exzesse waren auch Ausdruck ihres kritischen bis ablehnenden Verhältnisses zur führenden Partei. Der in der Bevölkerung latent vorhandene Unmut und die Demoralisierung über die Unmöglichkeit der Veränderung von sozialen und politischen Verhältnisse fanden im Rassismus einen politischen Ausdruck.

Rassismus ist eine Ideologie, die auf vorgeprägten falschen Wahrnehmungen unterschiedlicher biologischer bzw. kultureller Besonderheiten aufgebaut ist und deren Kern die falsche Behauptung ist, Menschen gehörten zu biologisch determinierten Gruppen und diese Konstellationen würden die jeweiligen sozialen Systeme bestimmen. Diese biologistischen Konstruktionen werden verknüpft mit sexistischen und nationalistischen Anschauungen, deren Kernstück die ungleiche Wertigkeit von Menschen darstellt.5 Da es in Wirklichkeit keine menschlichen „Rassen“ gibt, ist der Glaube auf dem Rassismus gründet, völlig absurd, denn von menschlichen „Rassen“ zu sprechen ist bereits Rassismus und keine wissenschaftliche Haltung. Dass ist in Kurzform der Inhalt der Erklärungen der UNESCO zum Rassismus, die 1978 und 1995 beschlossen wurden und die für meine Arbeit grundlegend sind.

Anti-Semitismus und Anti-Ziganismus sind besondere Varianten des Rassismus und sie sind zentrale Elemente der Ideologie von Nazis und Neo-Nazis. Dabei ist es wichtig zu wissen, dass alle organisierten Neo-Nazis über eine rassistische ← 13 | 14 → Ideologie verfügen, aber nicht alle Rassisten sind organisierte Neo-Nazis. Diesen Zusammenhang muss man verstehen, wenn man begreifen will, in welchem informellen Kontext Neo-Nazis und Rassisten kommunizieren.

Bisher gibt es in Deutschland keine, der Situation angemessene Aufklärung, da der Begriff „Rassismus“ in der offiziellen Sprachregelung konsequent ausgeblendet wird. Das Präsidium des Deutschen Bundestags rügt einen Sprecher im Plenum, der „Rassismus“ artikuliert. In der DDR wie in der BRD wurde nach dem Gesetz der unmöglichen Tatsache gehandelt: Rassismus hat es gegeben, aber es gibt ihn nicht mehr. Selbst nach den rassistischen Pogromen zu Beginn der 1990er Jahre wurde bagatellisierend von „Ausländerfeindlichkeit“, „Fremdenfeindlichkeit“ oder „Rechtsextremismus“ gesprochen, aber so gut wie nie von Rassismus. Man wird sich mit solchen Irrationalitäten beschäftigen müssen, wenn man erklären will, warum sich bis heute – im Unterschied zu anderen europäischen Ländern und den USA – keine Rassismusforschung in Deutschland etablieren konnte.

Der Rassismus in Deutschland ist ein Symptom für eine „unbewältigte Vergangenheit“, denn er ist Teil eines spezifisch ideologischen Krankheitsbildes und das verleugnende Verdrängen der Nazi-Verbrechen betraf die kollektive Bewusstseinslage von vielen Deutschen, sowohl in der DDR als auch in der BRD.

In der Regel werden biologistische bzw. sozial-darwinistische Konstruktionen, explizit oder implizit, verknüpft mit sexistischen und nationalistischen Anschauungen, die ebenfalls autoritär festgelegt, hierarchische Bewertungen zum Inhalt haben. Begriffe wie „Fremdenhass“ oder „Fremdenfeindlichkeit“ bezeichnen virulente oder temporäre Formen rassistischer Einstellungen, versperren aber eher den Weg zu einem grundlegenden Verständnis der tiefer liegenden Anschauungen der Ungleichheit.

„So stellt der Rassismus, obgleich abgeschwächt, noch immer eine wirkliche Gefahr dar. Sein Weiterbestehen auferlegt dem Historiker die Pflicht, ein Urteil zu fällen, und dabei kann es sich nicht um eine einfache Feststellung, einen kühlen Überblick über die Tatsachen handeln, sondern nur um ein ethisches Urteil. Alles in allem und unabhängig davon, was die Wissenschaft zur Stützung unserer Thesen beitragen kann, beruht die Behauptung, daß alle Menschen grundsätzlich gleich sind, auf einer moralischen Entscheidung, einem ideologischen Apriori.“6

So ist mein Fokus auf die Erforschung des Rassismus ausgerichtet und da bisher für Deutschland keine, der Situation angemessene Aufklärung zu Verfügung steht, ja sogar der Begriff „Rassismus“ wird konsequent z. B. vom Bundestags-Präsidium gerügt: „Wenn man sich öffentlich Umgang mit Rassismus in ← 14 | 15 → Deutschland anschaut, trifft man tatsächlich auf ‚very german specialities‘. Dazu gehört, dass über Rassismus jahrzehntelang nur mit unmittelbarem Bezug auf den Nationalsozialismus gesprochen werden konnte. Ähnlich wie beim Antisemitismus kamen kollektive Abwehrstrategien zum Zuge, die nur die Möglichkeit der absoluten Diskontinuität zur Nazivergangenheit zuließen. Auch hier wurde – und zwar in der DDR wie in der BRD – nach dem Gesetz der unmöglichen Tatsache gehandelt: Rassismus hat es gegeben, aber es gibt ihn nicht mehr. […] Selbst nach den rassistischen Pogromen zu Beginn der 90er Jahre wurde im politischen, wissenschaftlichen und medialen Mainstream bagatellisierend von „Fremdenfeindlichkeit“ und „Rechtsextremismus“ gesprochen, aber fast nie von Rassismus.“ Dieses Syndrom des verleugnenden Verdrängens der rassistischen Verbrechen und der Täter im Nazismus betrifft die kollektive Bewusstseinslage der Deutschen nach 1945 sowohl in der DDR als auch in der BRD. Das deutsche ideologische Syndrom aus Nationalismus und Rassismus bzw. Anti-Semitismus ist nach 1945 nicht verschwunden und seine unveränderten Achsen wurden (von Adorno) aufgezeigt: Aus „völkisch“ wurde „ethnisch“, aus „Rasse“ wurde „Kultur“ und aus Anti-Semiten wurden Anti-Zionisten oder Philo-Semiten. Nicht nur Anti-Semitismus sondern auch Nationalismus und Rassismus durften öffentlich nicht stattfinden, wucherten aber sowohl auf der gesellschaftlichen Ebene der Alltagskultur wie auch in der Form eines institutionalisierten Rassismus fort.7

Der Begriff „Rassismus“ ist abgeleitet aus „Rasse“ und taucht in wissenschaftlichen und alltäglichen Beschreibungen immer wieder auf. Das Instrumentarium zur Bestimmung „rassischer“ Merkmale ist aufgebaut auf ideologisch vorgeprägten falschen Wahrnehmungen unterschiedlicher biologischer, resp. kultureller Besonderheiten. Kern der rassistischen Ideologie ist die falsche Behauptung, Menschen gehörten „natürlich“ zu biologisch determinierten Gruppen und diese Konstellationen würden die jeweiligen sozialen Systeme bestimmen. In der Regel werden diese mehr oder weniger biologistischen Konstruktionen verknüpft mit sexistischen und nationalistischen Anschauungen.8

Begrifflich schließt der Rassismus den Anti-Semitismus als eine besondere Variante ein und ich verstehe ihn als ein wichtiges, zentrales Element der Ideologie der Nazis und Neo-Nazis, so wie sich diese pseudo-wissenschaftlichen Behauptungen seit dem 19. Jahrhundert herausgestellt haben und zur politischen Bedeutung gekommen sind. Der Rassismus ist ein Zentrum der nazistischen und neo-nazistischen Ideologie und Politik und die Basis, auf der er hier aufbaut, ist die militarisierte ← 15 | 16 → Vorstellung einer deutschen, nationalen Überhebung über Menschen oder Nationen aus dem Osten oder dem Süden. Was sich hier nun, besonders seit dem Zusammenschluss der beiden deutschen Staaten entwickeln konnte, sind Vorstellung zur Ausschaltung eines imaginierten Feindes. Diese, in den Vorstellungen der Rassisten existierenden „überflüssigen Esser“, sollen ausgelöscht werden und in der rassistischen Logik bedeutet dies die Vernichtung von Obdachlosen, AfrikanerInnen, AsiatInnen oder Behinderten und jede Tat ist zugleich Propaganda für die Lösung des von ihnen imaginierten Problems.

Bemerkenswert ist es z. B., dass bei der viel zu späten Aufdeckung der Morde und Überfälle durch die rechtsterroristische Gruppe NSU das Unvermögen der in deutschen Schulen und Universitäten geschulten Spezialisten der Sicherheitsorgane des Staates, zu erkennen, dass mangelnde schriftlichen Darlegungen zur Begründung rechtsterroristischer Aktionen oder Morde, offensichtlich ein unüberwindbares Hindernis darstellten, politische Absichten des lokal, regional und bundesweit organisierten Netzes der Rassisten in Deutschland wahrzunehmen.

Details

Seiten
293
Erscheinungsjahr
2014
ISBN (PDF)
9783653042153
ISBN (MOBI)
9783653987836
ISBN (ePUB)
9783653987843
ISBN (Hardcover)
9783631650738
DOI
10.3726/978-3-653-04215-3
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2014 (April)
Schlagworte
Faschismus Anti-Semitismus KPD SED KPdSU Ausländer Rassismus
Erschienen
Frankfurt am Main, Berlin, Bern, Bruxelles, New York, Oxford, Wien, 2014. 293 S.

Biographische Angaben

Harry Waibel (Autor:in)

Harry Waibel wurde 1946 in Süd-Baden am Rhein geboren. In der 68er-Bewegung machte er in Lörrach und Basel seine ersten politischen Erfahrungen. Er studierte Pädagogik, Soziologie und Geschichte in Freiburg im Breisgau und Berlin. Der Autor lebt und arbeitet als Historiker und Publizist in Berlin.

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Titel: Der gescheiterte Anti-Faschismus der SED